Geschichten von der Bibel
müssen riesengroß gewesen sein!
Ja, Eva und Adam lebten immer noch. Sie lebten in ihrer Hütte. Weit weg von den Städten. Alle ihre Kinder hatten sie verlassen. Ihre Enkel wußten kaum etwas von ihnen. Die Urenkel wußten gar nichts mehr. Es war damals Mode, nicht zurückzublicken.
Adam und Eva hatten Sehnsucht. Nach allem möglichen hatten sie Sehnsucht. Aber die größte Sehnsucht hatten sie nach ihrem Sohn Abel.
In der Bibel heißt es: »Nach vielen Jahren erkannte Adam sein Weib wieder, und Eva brachte den Seth zur Welt.«
Seth heißt soviel wie Ersatz. Er sollte der Ersatz sein für den geliebten Abel. Den fröhlichen Abel. Den Abel, der so gern erzählte. Seth sollte auch ein Ersatz sein für den intelligenten Abel, der innerlich schwitzte.
Es war eine leichte Geburt.
»Der Bub macht keine Mühe, wirst sehen«, sagte Eva.
»Genau wie Abel«, sagte Adam.
»Er wird uns das Leben leichter machen«, sagte Eva.
»Wie Abel«, sagte Adam.
»Hat er nicht Augen wie er?« sagte Eva.
»Auf jeden Fall hat er ein Kinn wie er«, sagte Adam.
Wenn es heiß war und den Menschen der Schweiß von der Stirn rann, strich Eva mit ihrer Hand über Seths Gesichtchen und sagte: »Seine Haut ist trocken.«
Und Adam sagte: »Du meinst, trocken, wie die Haut von Abel war.«
Und Eva sagte: »Ja, das meine ich.«
»Er ist unser zweiter Abel«, sagten Adam und Eva.
Das ist eine sehr große Belastung für einen Menschen, wenn er schon von der Geburt an für jemanden anderen steht. Da denkt er, sobald er denken kann: Oh, ich schwitze, ich darf aber nicht schwitzen! Und er wischt sich schnell die Stirn ab, wenn er seine Eltern kommen sieht.
Seth war intelligent, und er war fröhlich, und er erzählte gern. Und er war auch gottesfromm. Aber er wäre das alles am liebsten auf seine Art gewesen. Er hat seine Intelligenz, seine Phantasie, seine Fröhlichkeit darauf verwenden müssen, zu sein wie Abel, wie sein Bruder, der vor vielen hundert Jahren auf der Welt gelebt hatte. An den sich seine Eltern erinnerten wie an eine alte Sagengestalt.
Erst war dies eine Belastung für Seth, dann hat ihn sein Ahnenbruder zu interessieren begonnen: Wie war dieser Abel? Schließlich hat sich Seth zum fanatischen Ahnenforscher entwickelt.
Er hat sich von seiner Mutter Geschichten erzählen lassen, hat sich von seinem Vater Geschichten erzählen lassen. Er hat sich auch Geschichten über Abels Bruder Kain erzählen lassen.
»Ich werde ihn suchen und töten«, sagte Seth. »Ich werde Abel rächen!«
»Wer Kain tötet, zieht den Fluch Gottes auf sich«, belehrte ihn Adam.
»Wer ist Gott?« fragte Seth.
»Er weiß nicht, wer Gott ist«, sagte Adam zu Eva.
»Weil wir ihm nur von Abel erzählt haben«, sagte Eva.
Seth suchte das Grab des Abel und fand es und errichtete darauf eine Kultstätte. Er schlachtete Tiere und ließ ihr Blut über den Altar rinnen. Abel zum Gedächtnis.
Dem Adam hat das große Sorgen gemacht.
»Er übertreibt es«, sagte er zu Eva.
»Wer, meint er denn, daß Abel gewesen sei?« fragte sie.
»Wer, meinst du denn, daß Abel gewesen sei?« fragte Adam den Seth.
»War er Gott?« fragte Seth zurück.
Da soll Adam den Altar umgestürzt haben, den Seth für seinen ermordeten Bruder errichtet hat. Von da an sei Seth still geworden, habe sich am Abend vor die Hütte gesetzt neben Adam und Eva und habe seine Gedanken auf die Reise geschickt – in die Vergangenheit. Immerhin: Seth war damals auch schon bald dreihundert Jahre alt …
ENOS
Von einem, der wissen will, wie der Mensch funktioniert – Von einem, der wissen will, woher wir kommen – Von einem, der mein t, er brauche nicht zu wissen, wer Gott ist – Von einem, der wissen will, was eine Seele ist – Von Adams Antwort – Von einem besorgten Messer – Von der Erfindung der Anatomi e – Von der Erfindung des Götzen
Seth hatte zwei Söhne, Enos und Henoch. Wie hieß die Mutter der beiden? Keine Ahnung. Ihren Namen habe ich nicht finden können.
Enos und Henoch waren außerordentlich klug. Sie verließen bald die Hütte ihrer Eltern und zogen in die Stadt.
Sie schafften spielend Wohlstand heran. Sie gingen einander aus dem Weg. Zuviel hatten sie in ihrer Kindheit über Bruderhaß gehört. Sie wollten es nicht darauf ankommen lassen.
Enos interessierte sich für die Natur. Er wollte wissen, wie der Mensch funktioniert, was der Mensch eigentlich ist. Er studierte die Hand.
»Woher weiß die Hand, wie fest sie drücken muß?« fragte er.
Er gab einem
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