Geschichten von der Bibel
verlassen, hatte sich tief vor dem Bild des Nimrod verbeugt und war nach Hause gelaufen. Verzweifelt, fluchend, sich verfluchend.
Darum eben war ihm am Ende nichts anderes übriggeblieben, als Amitlai und seine Tochter in die Wüste zu bringen.
»Aber ihr dürft nicht lange wegbleiben«, hatte er sie ermahnt, »sonst wird das auffallen, und die Soldaten werden euch suchen.«
Darum legten Amitlai und ihre Tochter die Neugeborenen unter die Tücher und legten sie in die Hand Gottes. Sie schleppten sich, noch vom Gebären geschwächt, zurück in die Stadt.
Gott schickte einen Engel zu den beiden Knaben, und zwar den Erzengel Gabriel. Gabriel reichte dem Sohn der Amitlai den kleinen Finger, damit er daran sauge. Das Kind saugte Milch aus dem Finger. Aber das war eine ganz besondere Milch, die der Knabe aus dem Finger des Gabriel trank, die bewirkte nämlich, daß der Knabe zu wachsen begann. Schnell wuchs er. Sehr schnell.
Als er sich satt getrunken hatte, sah der Sohn des Terach und der Amitlai aus wie ein Fünfzehnjähriger.
Ein paar Tropfen von Gabriels Milch fielen auf den Arm des Knaben, die schleckte der Säugling neben ihm auf. Das bewirkte, daß auch er zu wachsen begann, aber es war doch weniger Milch, und deshalb sah er nur aus wie ein Dreijähriger. Da saßen ein Dreijähriger und ein Fünfzehnjähriger in der Wüste.
Als Amitlai und die Tochter des Terach die Stadt Ur vor sich sahen, bekamen sich doch ein schlechtes Gewissen.
Sie sagten: »Wir können doch nicht unsere Kinder in der Wüste liegen lassen! Sind wir denn verrückt? Auf Gott vertrauen wir? Auf den Gott, der bisher nichts gegen Nimrod unternommen hat? Warum vertrauen wir auf diesen Gott? Weil Terach uns dazu geraten hat? Nein, nein, nein! Es sind unsere Kinder! Niemand kann uns die Verantwortung für sie abnehmen!«
Sie kehrten um.
Aber entweder ihre Schwäche hatte ihre Sinne verwirrt, oder Gott hatte ihre Sinne verwirrt. Sie verirrten sich. Gingen im Kreis und fanden die Stelle nicht, wo sie ihre Knaben unter dem Schattentuch hatten liegenlassen.
Terachs Tochter hatte zum ersten Mal entbunden, sie hatte viel Blut verloren, sie war schwächer als Amitlai. Sie konnte nicht mehr weiter.
»Geh du allein«, sagte sie zu Amitlai. »Finde meinen Sohn. Gib ihm den Namen Lot. Das heißt der Verschleierte. Denn wenn er noch am Leben ist, dann doch nur, weil ich meinen Schleier über ihn gelegt habe, damit ihn die Sonne nicht verbrennt.«
So machte sich Amitlai allein weiter auf den Weg, um die neugeborenen Knaben zu suchen. Am Abend war sie am Ende ihrer Kraft. Sie fiel nieder und verlor das Bewußtsein. Da war ihr, als sähe sie einen jungen Mann auf sich zukommen.
»Der Friede sei mit dir«, sagte der junge Mann. »Was tust du hier allein in der Wüste?«
»Ich suche meinen Sohn«, sagte Amitlai. »Er ist erst wenige Stunden alt.«
»Und wer brachte ihn hierher, wo niemand leben kann?«
»Ich selber war es. Ich habe ihn in der Wüste entbunden. Und dann in der Wüste liegenlassen.«
»Dann bist du eine böse Mutter«, sagte der junge Mann.
»Ich bin keine böse Mutter«, sagte Amitlai. »Ich hatte nur Angst vor unserem bösen König. Jetzt habe ich keine Angst mehr.«
»Ich bin dein Sohn«, sagte der junge Mann. »Gott hat seinen Engel geschickt. Alles ist gut.«
Da war Amitlai, als träte aus dem Schatten des jungen Mannes ein Kind, drei Jahre alt vielleicht.
»Und er ist das Kind der anderen, die in der Wüste verschmachtet ist.«
Da hat sich Amitlai vom Wüstenboden erhoben und laut Gott gedankt. Und sie hat sich geschworen, niemals wieder an der Erhabenheit Gottes zu zweifeln. Sie gab ihrem Sohn einen Namen, nämlich Abram. Das heißt: Gott ist erhaben. Und das andere Kind nannte sie Lot, wie sie versprochen hatte.
Zusammen mit Abram und Lot ging Amitlai nach Ur. Sie weckten keinen Verdacht bei den Soldaten des Nimrod. Denn die glaubten nicht an Wunder, und ein Fünfzehnjähriger war für sie einer, der vor fünfzehn Jahren zur Welt gekommen war, und ein Dreijähriger war für sei einer, der vor drei Jahren zur Welt gekommen war, sie aber waren zuständig für neugeborene Knaben.
Amitlai, Abram und Lot erzählten Terach, was vorgefallen war. Und Terach schwor laut, daß er sich von nun an den Befehlen des Nimrod widersetzen wolle. Laut hat er geschworen – nachdem er zuerst sicherheitshalber die Fenster geschlossen hat …
So haben Abram und sein Neffe Lot das Massaker an den Neugeborenen überlebt.
Abram wuchs in Ur auf,
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