Geschichten von der Bibel
Frage der Zeit, bis Nimrod seine Loyalität gegenüber seinem Kanzler vergessen und seiner Polizei die entsprechenden Befehle geben würde.
Und dann war es soweit. Nimrod ließ Abram verhaften. Und als Terach mit seinem Herrn wegen seines Sohnes verhandeln wollte, ließ ihn Nimrods Wache erst gar nicht vor.
Nimrod wollte Abram hinrichten lassen. Ein Exempel wollte er statuieren. Wollte demonstrieren, daß es unter seiner Herrschaft keine Proteges gibt. Daß auch der Sohn des Kanzlers und ersten Generals Seiner Majestät Respekt zu erweisen hatte.
In der Nacht vor der Hinrichtung träumte Nimrod, er habe Abram in einen Feuerofen stecken lassen, und er sah im Traum, wie Abram brannte. Aber Abram verbrannte nicht, er blies die Feuerglut von sich. Die Flammen schlugen aus dem Ofen und erfaßten Nimrod und verbrannten ihn und verbrannten sein ganzes Reich.
Am Morgen begnadigte Nimrod Abram und ließ ihn ins Gefängnis werfen.
Zwölf Jahre verbrachte Abram in Nimrods Gefängnis.
Er fehlte den Seinen, er fehlte Lot und Eliëser, und vor allem aber fehlte er Sarai.
Sarai besuchte ihn im Gefängnis. Da standen sie sich gegenüber, zwischen ihren Gesichtern die Gitterstäbe, und da schworen sie sich ewige Treue. Da baten sie Gott, er möge ihnen den Segen geben, er möge ihren Bund besiegeln. Und Gott gab ihnen den Segen.
Während Abram im Gefängnis war, führten Lot und Eliëser die Geschäfte. Abram war reich, er hatte große Herden, Kamele, Schafe, Rinder, Esel, er hatte Gesinde um sich geschart.
Und dann nach zwölf Jahren wurde Abram entlassen. Er war nicht mehr derselbe. Sein Charakter war nicht gebrochen, das nicht, nein, aber er war gebeugt. Die Gefängnisjahre hatten ihm doch hart zugesetzt. Er war still geworden. Seinen Hochmut hatte er verloren.
Auch Nimrod hatte sich verändert. Er war noch grausamer geworden.
Eliëser sagte zu Abram: »Hüte dich, Nimrod will dir eine Falle stellen.«
»Was meinst du, Eliëser? Warum läßt er mich frei, wenn er mir etwas antun will?«
»Der Unmut im Volk ist sehr gewachsen«, sagte Eliëser. »Für die Menschen bist du ein Idol. Nimrod will dich töten. Er wird dir ein Verbrechen unterschieben und dich dann öffentlich hinrichten lassen.«
»Was soll ich tun?«
»Wir müssen Ur verlassen«, sagte Eliëser.
»Und wann?«
»Noch in dieser Nacht.«
Eliëser, Lot und Sarai hatten alles vorbereitet. Abrams Herden, das Gesinde, sein Hausrat, alles war bereit.
Abram verabschiedete sich von seinem Vater Terach.
»Wann sehe ich dich wieder, mein Sohn?« fragte Terach.
»Wenn du mir nachfolgst, schon bald«, sagte Abram.
»Das kann ich nicht«, sagte Terach.
Abram nickte. Er war im Gefängnis auch toleranter geworden gegen die Schwächen anderer.
»Wir werden uns nicht mehr wiedersehen. Habe ich recht?« fragte Terach.
Abram nickte.
Und dann sagte der Vater zum Sohn: »Segne mich, Abram, segne mich, bevor du gehst!«
Abram sagte: »Nicht der Sohn segnet den Vater, sondern der Vater segnet den Sohn. So ist es Brauch!«
Terach sagte: »Nicht ich bin der Auserwählte Gottes, du bist es. Segne du, der Sohn, den Vater!«
Abram segnete seinen Vater.
In derselben Stunde verließ Abram mit seinem ganzen Troß die Stadt Ur.
Abram, Sarai, Eliëser und Lot beschlossen, nach Ägypten zu ziehen. In Ägypten, hieß es, herrschten zwar andere Sitten, andere Religionen, aber es sei ein tolerantes Land. Deshalb gebe es dort auch mehrere verschiedene Religionen, keiner prüfe den anderen, keiner erhebe sich über den anderen, keiner verunglimpfe die Götter des anderen, auch dann nicht, wenn derjenige nur einen Gott habe. Außerdem sei dieses Land sehr fruchtbar und sehr weit. Es könne durchaus noch ein weiteres Volk vertragen.
Viele Jahre vergingen. Man darf sich diesen Zug nicht wie eine Reise vorstellen, die immer und streng auf das Ziel ausgerichtet ist. Der Begriff Ziel war sehr weit gefaßt, Ziel hieß soviel wie: Irgendwann werden wir dort sein.
Das kleine Volk und seine Herden zogen nach Westen, dann schlug man die Zelte auf und blieb vielleicht einige Jahre, weil gute Weiden in der Umgebung waren. Oder man kehrte wieder um, wenn man Gefahr von Banditen vor sich vermutete, zog ein Stück auf der eigenen Spur zurück, trieb günstigen Handel in einer Stadt, änderte abermals die Richtung, handelte freien Durchzug mit den Banditen aus. Und so weiter.
Kinder wurden geboren, Alte und Kranke starben, das Vieh vermehrte sich …
Inzwischen waren Abram und Sarai sechzig
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