Geschichten von der Bibel
bevorstanden, schickte Terach seine Frau Edna zum Turm der Geburt, dort sollte sie ihre Tochter zur Welt bringen und das Gold nehmen, und seine Frau Amitlai und seine Tochter brachte er in Sicherheit. Das heißt, er schickte sie in die Wüste.
»Ihr werdet den Weg schon finden«, sagte er. »Jeder findet den Weg in die Wüste.«
»Und wieder hinaus?« fragten die beiden weinend.
»Gott wird euch führen. Diese Angelegenheit wird Gott organisieren. Ich muß die andere Angelegenheit organisieren. Glaubt mir, umgekehrt wäre mir lieber!«
So machten sich Terachs erste Frau und seine Tochter auf den Weg in die Wüste. Beteten, weinten, schleppten sich mit ihren schweren Leibern.
Siebzigtausend Knaben seien in Ur getötet worden, heißt es. Siebzigtausend kleine Körper seien vom Turm auf das Lanzenfeld geschleudert worden. Seit Schemchasai und Asael hatte es keinen solchen Massenmord gegeben, Schemchasai und Asael aber waren keine Menschen, sie waren Gottessöhne, Ungeheuer.
Dieser Massenmord aber war von einem Menschen befohlen und von einem anderen Menschen organisiert worden.
Das hat Gott zugelassen? Die Menschen warfen sich zu Boden und schrien nach ihrem Gott.
»Es könnte kritisch werden«, sagten die Berater des Nimrod zu ihrem Herrn. »Angenommen, es gibt den Gott von denen doch. Dann wird er jetzt einschreiten.«
Nicht daß sich Nimrod nicht fürchtete. Er fürchtete sich, aber er war auch neugierig.
»Ich riskiere es«, sagte er. »Ich will es wissen.«
Nimrod wartete. Mordete weiter. Wartete, daß der Gott von denen einschritt.
»Er ist nicht eingeschritten«, stellte er nach einem Monat fest.
Die Berater des Nimrod schüttelten den Kopf. »Was ist das nur für ein Gott?«
»Kein Gott«, sagte Nimrod.
Oben im Himmel ist alles registriert worden. Jeder ermordete Knabe ist registriert worden von den Engeln. Jede Seele ist sorgsam aus den kleinen Mündern gepflückt worden. Und die Engel, so heißt es, hätten miteinander getuschelt.
»Jetzt reicht es aber!« sagten sie.
Aber es reichte nicht.
»Wann reicht es denn endlich!« sagten sie.
Sie weinten. Die Engel weinten. Bis dahin ist kein Weinen der Engel beobachtet worden. Sie weinten und warfen sich vor Gottes Thron.
»Schaust du diesem Massaker zu?« fragten sie.
»Unternimmst du denn nichts dagegen? Siebzigtausend unschuldige Knaben! Unsere Finger sind wund vom Pflücken ihrer Seelen! Tu etwas!«
Gott habe sich gewunden.
»Was denkt ihr denn?« habe er die Engel angefahren. »Ich werde schon irgend etwas tun. Denkt ihr denn, daß ich schlafe? Ich schlafe nicht. Ich habe nicht geschlafen, seitdem ich den Menschen erschaffen habe!«
Er hat nicht eingegriffen.
Amitlai und ihre Tochter waren von Terach in die Wüste gebracht worden, um dort ihre Knaben zu entbinden.
Als sie nur noch Wüste um sich herum sahen, spannten sie ihre Tücher zwischen zwei Felsen, damit sie ein wenig Schatten hatten, und legten sich nieder.
Sie beteten zu Gott: »Laß es nicht zu!« riefen sie. »Laß es nicht zu, daß wir und unsere Kinder sterben!«
Sie brachten jede einen Knaben zur Welt. Sie reichten ihnen nur einmal ihre Brust.
»Behüte sie!« flehten sie zu Gott.
Sie kehrten in die Stadt zurück. Die Frauen des Reiches waren alle gezählt worden, alle, schwanger oder nicht schwanger. Das war ein erster Schritt im Organisationsplan des Terach gewesen.
»Kannst du uns nicht einfach aus der Liste streichen?« hatten Amitlai und ihre Tochter gebeten.
»Natürlich, natürlich mach ich das«, hatte Terach gesagt.
Und dann war er mitten in der Nacht in die königliche Registratur geschlichen.
Ein Wächter des Nimrod aber hatte ihn bemerkt und war ihm gefolgt. Er dachte sich, der Kanzler wird doch wohl nicht seine schwangeren Frauen aus der Liste streichen wollen.
Der Wächter beobachtete Terach, wie er den Registraturband mit seinem Namen aus dem Regal nahm. Er sah, daß Terach die Seite aufschlug, auf der seine Frauen aufgeschrieben waren.
»Was machst du da?« fragte der Wächter des Nimrod und trat hervor.
»Ich?«
»Sonst ist da ja niemand.«
»Ich kontrolliere etwas«, stotterte Terach.
»Mitten in der Nacht? Interessant. Was denn?«
»Ich kontrolliere … ob meine Frau … Edna … meine schwangere Frau Edna … auch auf der Liste steht, das kontrolliere ich …«
»Und? Steht sie auf der Liste?«
»Ja. Hier.«
»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte der Wächter und nahm Terach den Registraturband aus der Hand.
Terach hatte das Amt
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