Geschichten von der Bibel
unbescheiden zu sein: Das ist richtig.«
»Dann möchte ich dich etwas fragen: Wer ist Ägyptens Hauptfeind?«
Der Hauptmann antwortete prompt: »Niemand. Wir haben keine Feinde. Josef, der vor vielen Jahren unser Vizekönig war, hat das Land so prächtig regiert, daß wir weder innerhalb des Landes noch außerhalb des Landes Feinde haben.«
»Ah, Josef«, sagte Zephu, »Josef! Ja, ja, ich habe von ihm gehört. Nur das Beste. Nur das Allerbeste.«
Und nach einer Weile fing er wieder an.
»Angenommen«, sagte er, »einfach einmal angenommen, rein theoretisch und militärisch betrachtet: Gibt es einen König, der für Ägypten rein theoretisch und militärisch betrachtet eine Gefahr darstellen könnte? Könnte – ich sage absichtlich: könnte.«
Der Hauptmann überlegte: »Also rein theoretisch … Aeneas, der König von Dinara, er vielleicht. Er ist sehr mächtig, er und sein Volk haben ein grausames Schicksal hinter sich. Ihre Heimat ist verbrannt worden. Es heißt, der König habe seit damals nicht mehr gelacht. Seit damals vertraue er niemandem mehr, vertraue nur noch auf seine militärische Stärke. Aber es heißt auch, Aeneas habe einmal eine Ausnahme gemacht, einem einzigen Mann habe er vertraut, und es heißt, er habe das nicht bereut …«
»Darf ich raten, wer dieser Mann war?« unterbrach Zephu den Hauptmann.
Dabei schaute er ihn an, und sein Blick wirkte etwas erstaunt, obwohl es ja gar nichts zu staunen gab, denn wer anders hätte das Vertrauen des alten Königs Aeneas gewinnen können als …
»Es war euer Josef. Habe ich recht?«
»Ja, du hast recht«, lachte der Hauptmann. »Inzwischen aber ist Aeneas hoch in den Jahren, er hat das Regieren satt, und wohl das Leben satt, nun will er seine Macht an seinen Sohn Nibulus übergeben. Von diesem Sohn aber wissen wir wenig. Manche behaupten, er sei friedlich wie ein Lamm. Andere erzählen ganz anderes.«
Nun waren die beiden beim Haus des Hauptmanns angekommen. Der Hauptmann wollte Zephu zum Abendessen einladen, aber Zephu lehnte ab. Der Hauptmann blickte Zephu nach, als der durch die Dunkelheit den Weg zurück ging, und ihm war, als habe er nicht mit einem Fremden einen Abendspaziergang gemacht, sondern mit einem Freund, einem alten Freund, einem Bruder …
Und seiner Frau erzählte der Hauptmann das gleiche, was der Händler seiner Frau erzählt hatte, und die Frau des Hauptmanns sagte das gleiche, was die Frau des Händlers zu ihrem Mann gesagt hatte, nämlich daß man den Eindruck haben könnte, er habe den Abend mit der Klugheit und Liebenswürdigkeit, dem Scharfsinn und der Güte in einer Person verbracht, und wenn er jetzt auch noch eine Schönheit sei, dann glaube sie ihm das.
»Aber so ist es«, sagte der Hauptmann, »ganz genau so ist es.«
Und als er merkte, daß er die Art des Fremden nachgeahmt hatte, war ihm das ganz recht.
Der Zufall aber wollte es, daß die Frau des Händlers und die Frau des Hauptmanns Schwestern waren. Die beiden trafen sich, und sie erzählten einander die Geschichten, die ihre Männer ihnen erzählt hatten, und da wunderten sich diese beiden Frauen.
»Wie ist es möglich«, sagten sie, »daß unsere Männer, die so verschieden sind, wie man verschiedener nicht sein kann, die sich auf den Tod nicht ausstehen können, daß sie beide in ein und demselben Mann einen Bruder sehen, der die Welt und die Menschen deutet wie sie, der über dasselbe lacht, sich über dasselbe seine Sorgen macht, dieselben Hoffnungen in sich trägt?«
Die Frau des Hauptmanns sagte: »Wenn dieser Fremde so ist wie mein Mann, dann kann er nicht sein wie deiner.«
Und die Frau des Händlers gab ihrer Schwester recht.
Wer war dieser Zephu?
Er war der Sohn des Eliphas, der Enkel des Esau. Esau war der Bruder des Jakob, er war von Jakob um sein Erstgeburtsrecht und somit um den Segen des Vaters Isaak betrogen worden. Aber Esau war, entgegen der Meinung so mancher Erzähler, die den Betrug des Jakob rechtfertigen wollen, ein großzügiger, ja, ein edler Charakter. Er vergab seinem Bruder, forderte nicht einmal Genugtuung.
Anders verhielt es sich bei Eliphas, seinem Sohn. Es hatte ihn verletzt, daß mit seinem Vater so umgesprungen worden war. Nicht nur Esau, sondern dessen ganze Familie sei von Jakob gedemütigt worden, sagte er. Sagte es täglich. Das war sein Ceterum censeo, wenn er zu seinen Söhnen sprach.
»Wir werden nichts gegen Jakob und seine Sippe unternehmen«, verkündete er. »Das würde das Andenken an Esau trüben, der
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