Geschlossene Gesellschaft
Er begann, Fragen zu stellen, zu drängen und zu forschen, wo immer er konnte. Er fuhr nach Sarajevo und stellte Nachforschungen über die Umstände des Attentates an. Und je mehr er entdeckte, desto mehr fing er an zu glauben, was Köszegi ihm erzählt hatte. Am 28. Juni lagerten 70000 Mann außerhalb der Stadt. Franz Ferdinand war nach Bosnien gereist, um sich ihre Manöver anzusehen. Mit diesen Truppen hätte der Gouverneur Bosniens, General Potiorek, die Straßen während des Besuchs des Erzherzogs säumen können. Das hatte sein Vorgänger bei dem Besuch des Kaisers 1910 getan. Er hätte die Geheimpolizei rufen und alle Dissidenten und Fremden aus der Stadt vertreiben können - das hatte man 1910 ebenfalls gemacht. Er jedoch tat nichts von beidem. Als der Erzherzog und seine Frau an diesem Sonntagmorgen mit ihm nach Sarajevo hineinfuhren, warf man eine Bombe nach ihnen. Sie verfehlte jedoch ihr Ziel und verletzte einen Adjutanten. Die Gruppe fuhr weiter zum Rathaus, wo sie lunchten. Der Erzherzog fragte Potiorek, ob seiner Meinung nach noch mehr Bomben geworfen werden würden. Potiorek verneinte dies. Aber was war diese Antwort wert? Er hätte den Erzherzog drängen sollen, im Rathaus zu bleiben, bis man Truppen zu seinem Schutz herbeigerufen hatte. Doch das tat er nicht. Stattdessen zog er stur das Programm durch. Oder vielmehr, er hätte es durchgezogen, wenn die Frau des Erzherzogs nicht darauf bestanden hätte, nach dem Lunch den verletzten Adjutanten im Krankenhaus zu besuchen. Das bedeutete eine Änderung der Route. Eigenartigerweise wurde der Chauffeur nicht benachrichtigt. Er folgte der ursprünglichen Strecke, und als Potiorek ihn auf den Irrtum hinwies, hielt er abrupt an. Und zwar genau gegenüber der Stelle, an der einer der Attentäter, Princip, mit einem geladenen Revolver wartete. Der trat vor und erschoss erst den Erzherzog, dann dessen Frau. Sie starb sofort, der Erzherzog ein paar Minuten später.«
»Was hat Brosch gemacht, nachdem er das alles herausgefunden hatte?«
»Er ist zu Potiorek gegangen und hat eine Erklärung für seine Handlungen gefordert. Doch Potiorek hat nicht geantwortet, sondern nur ein Paar konzentrische Kreise auf ein Blatt Papier gemalt und es Brosch über den Tisch hinweg zugeschoben. Er muss gedacht haben, dass Brosch entweder ein Mitglied der Concentric Alliance war oder sie gut genug kannte, um sich durch die Andeutung, sie billige das Geschehene, einschüchtern zu lassen. Und er hatte recht. Brosch gab bis zu seiner Abreise aus Sarajevo vor, er sei einer von ihnen. Er rechnete sich aus, dass sie sich nicht lange mit einem Obersten aufhalten würden, wenn sie bereit waren, einen Erzherzog zu ermorden. Potioreks Verwendung ihres Symbols hatte Brosch von der Existenz der Concentric Alliance überzeugt - und von ihrer Macht.«
»Moment«, protestierte ich und zog Duggan am Ellbogen, um ihn aufzuhalten. »Wollen Sie damit behaupten, dass Potiorek ebenfalls von der Partie war?«
»Selbstverständlich.«
»Aber er war doch in demselben Wagen. Die Bombe hätte ihn ebenfalls töten können.«
»Laut Brosch war Potiorek alles andere als ein Märtyrer. Nach Broschs Theorie glaubte der General, dass man professionelle Killer benutzen würde. Dass junge Hitzköpfe die Bomben warfen, muss ein Schock für ihn gewesen sein.«
»Junge Hitzköpfe. Ganz genau. Die Attentäter - Princip und der Rest - waren echte bosnische Nationalisten, bewaffnet und trainiert von Serbien. Hatte man die nicht schon Jahre zuvor angeheuert?« »Ja. Bei dem Verhör gaben sie zu, Agenten eines serbischen Geheimbundes zu sein, der Schwarzen Hand. Und der Chef der Schwarzen Hand, Oberst Dimitrievitch, war zugleich Chef des Geheimdienstes des serbischen Generalstabs. Auf seinen Befehl hin wurden Princip und zwei andere Attentäter Ende Mai nach Bosnien hineingeschmuggelt, ausgerüstet mit Bomben, Pistolen und Gift, das sie nehmen sollten, wenn sie erwischt würden. Vier Komplizen warteten bereits in Sarajevo, macht insgesamt sieben. Als der Tag dann kam, postierten sie sich entlang der Strecke, die der Erzherzog nahm, und warteten auf ihre Chance. Sechs von ihnen wurden sofort nach dem Attentat verhaftet. Diejenigen, die Gift hatten, schluckten es gehorsam, aber es hatte keine Wirkung. Vermutlich weil man ihnen statt Blausäure Wasser in die Kapseln getan hatte. Sie sollten leben, sollten vor Gericht gestellt werden und sollten ihre Loyalität zu Serbien öffentlich bekunden.«
»Aber... um das zu
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