Geschlossene Gesellschaft
glaube ich nicht«, sagte ich.
»Genau das habe auch ich zu Brosch gesagt«, gab Duggan zurück. »Das glaube ich nicht.« Und er wiederum hatte es Köszegi an den Kopf geworfen. Aber er hat seine Meinung geändert. Ich auch. Und jetzt ist die Reihe an Ihnen.«
»Das kann nicht wahr sein.«
»Ist es aber. So wahr ich hier stehe, Mr. Horton. Und wie Sie hier stehen. So wahr, wie Brosch gesagt hat: »Sein Name ist Fabian Charnwood.«
Ein Mann, der mit seinem Hund spielte, näherte sich von dem Ende des Strandes, an dem das Dorf lag. Duggan erblickte ihn, drehte sich um und schritt forsch in die entgegengesetzte Richtung aus. Ich folgte ihm und bemühte mich, mit ihm Schritt zu halten und meine Fragen zu ordnen. Charnwood war verantwortlich für das Attentat von Sarajevo und damit für den großen Krieg; verantwortlich für die drei miesen Jahre, die Max und ich in Mazedonien verbracht hatten; verantwortlich für den zerrütteten Verstand meines Bruders Felix und für den Verlust der Leben all der Männer, die auf all den Gedenksteinen der Länder standen, die der Krieg berührt hatte. Es war nicht möglich, nicht glaubhaft, nicht...
»Brosch hat Köszegi gesagt, er solle sich zusammennehmen und aufhören, Unsinn zu reden. Wo war der Beweis ? Und welches das Motiv? Köszegi versuchte, das zu beantworten. Er war von Broschs Nachfolger Oberst Karl von Bardolff für die Verschwörung gewonnen worden.«
»Karl von Bardolff?« warf ich ein, und mir kam der alte Mann mit dem weißen Käppi auf Vasaritchs Jacht in den Sinn.
»Ja. Was ist mit ihm?«
»Es ist nur... Lebt er noch?«
»Vermutlich. Warum?«
Er lebte noch. Und steckte, wenn er es war, mit einem Franzosen, einem Engländer und einem Jugoslawen unter einer Decke. Und war Vasaritch überhaupt ein Serbe? Faraday hatte gesagt: »Er nennt sich selbst einen Jugoslawen.« Aber was heißt das schon? »Tut mir leid«, meinte ich. »Fahren Sie fort.«
»Bardolff nutzte Köszegis Zweifel an Franz Ferdinands Plänen für das Kaiserreich nach dem Tod seines Onkels aus. Das Ende der ungarischen Autonomie. Ausrottung der Juden, Freimaurer und Liberalen. Einschränkung der slawischen Bevölkerung. Und da Franz Josef bereits hoch in den Achtzigern war, stand das alles vielleicht schon unmittelbar vor der Tür. Köszegi mochte nichts von alldem, vor allem nicht den Anschlag auf die Rechte der Ungarn. Er stellte die Loyalität seinem Heimatland Ungarn gegenüber höher als die Loyalität zu irgendeinem Prinzen. Er willigte ein, seine Rolle aus patriotischen Gründen zu spielen. Bardolff war Vorsitzender des Komitees, das für die Sicherheitsmaßnahmen während des Sarajevo-Besuchs verantwortlich war. Er erklärte, dass man sie absichtlich lasch handhaben wolle. Attentäter standen bereit, den Erzherzog während seiner Fahrt durch die Stadt zu töten. Alles, was Köszegi als Mitglied der Leibwache zu tun hatte, war, nichts zu bemerken und nichts zu verhindern. Man würde Serbien das Attentat in die Schuhe schieben, und dem Kaiserreich bliebe damit eine unvorstellbare Zukunft erspart. Köszegi trat der Verschwörung bei.«
»Ich verstehe das nicht. Warum sollte Charnwood an einer Verschwörung teilnehmen, die das Ziel hatte, die Rechte der Ungarn zu schützen?«
»Weil diese für die wahren Ziele der Verschwörung unwichtig waren. Wie Köszegi herausfand - aber leider zu spät. In der Nacht nach dem Attentat betrank sich einer der Leibwächter und verspottete ihn mit der Wahrheit. Franz Ferdinand war nicht in der Absicht getötet worden, Ungarn zu retten. Er war getötet worden, um einen Weltkrieg zu entfachen. Die Verschwörer hatten im Namen einer Organisation gehandelt, die Concentric Alliance hieß. Deren Motiv war Geld. Und Fabian Charnwood wollte ihnen viel Geld geben, Geld von den Gewinnen, die er an dem Krieg machte, den er in Gang gesetzt hatte.«
»Ich verstehe das immer noch nicht. Welche Gewinne? Wie konnte man sie zu Geld machen?«
»Das wusste Köszegi nicht. Und er wollte es auch nicht wissen. Er hatte bei einem Mord geholfen. Und die Ideale, die, wie er dachte, das Verbrechen rechtfertigen sollten, waren ein Schwindel. Für ihn war das genug. Nachdem er es Brosch gestanden hatte, beging er Selbstmord. Erst jetzt begann Brosch, Köszegis Behauptungen ernst zu nehmen. Er hatte immer an Bardolffs Integrität gezweifelt. Und das Versagen der Sicherheitskräfte in Sarajevo war unbestreitbar. Konnte da etwas weit Schlimmeres als Inkompetenz am Werk gewesen sein?
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