Geschlossene Gesellschaft
gingen nachmittags schwimmen, nahmen ein Bad und dinierten in der Villa. Vita zog sich früh zurück, und Diana und ich schlenderten hinaus auf die Veranda. Das klingt müßig und unbedeutend, war es jedoch keineswegs. Vermutlich sah ich dasselbe in ihr, was auch Max gesehen hatte. Und sie fand in mir das, was sie an Max liebte -bis er ihre Liebe weggeworfen hatte. In dieser Widerspiegelung lag eine Gefahr, die wir beide heimlich genossen. Wir vermieden es deswegen, bis zu dem Punkt zu gehen, an dem wir normalerweise unsere Empfindungen ausgedrückt und uns auch entsprechend verhalten hätten. Wir hielten uns zurück und machten dennoch weiter.
In meinem Fall war eine zerbrochene Freundschaft nicht der einzige Grund dafür, dass ich ohne schlechtes Gewissen weitermachte. Da war ja noch die Kleinigkeit meines Auftrages, mit dem ich nach Venedig geschickt worden war. Maundy Gregory und seine Hintermänner zahlten ganz ansehnlich für mein Sonnenbaden und wären sicher nicht erfreut gewesen zu entdecken, wie wenig Energie ich ihrer Sache widmete. Genaugenommen unternahm ich nicht die geringsten Anstrengungen, Charnwoods Geheimnis aus seiner Tochter herauszulocken. Ich redete mir ein, dass es kein Geheimnis gab, doch das war nicht der wirkliche Grund. In Wahrheit wollte ich mir Dianas Zuneigung nicht verscherzen. Ich war ganz einfach nicht bereit, das leiseste Risiko einzugehen, was ihr Bild von mir anging - und wie es sich noch entwickeln konnte. Im Augenblick war die Vorstellung, sie wegen eines Vermögens zu verlieren, längst nicht so attraktiv, wie sie es zu anderen Zeiten in meinem Leben gewesen wäre.
Unser Abend in der Oper krönte die ungezwungenen Tage. Diana trug einen Umhang aus blauem Samt mit dem Topas-Anhänger, den ich an ihr das letzte Mal auf der Party an Bord der Empress of Britain gesehen hatte... Es war kühl an diesem Nachmittag, und wir fuhren mit dem Boot über die Lagune, machten in Harry's Bar auf einen Cocktail halt und setzten dann mit der Gondel die Fahrt durch die Kanäle zum Teatro la lenke fort. Die Venezianer waren in Massen unterwegs, aufgeputzt und bereit, in einem melodischen Stück Unsinn von Rossini zu schwelgen, das auf der Geschichte vom Aschenputtel basierte. Normalerweise hätte mich dies in das banausische Koma der Gleichgültigkeit gestürzt, doch das goldbehängte Auditorium glänzte bezaubernd in dem Licht der Gaslaternen, und neben mir saß, gefesselt von dem Gesang, eine Frau, die weit schöner war als jede der gemalten Dryaden, die auf den Balkonreliefs neben uns herumtollten.
Während der Pause standen wir draußen auf einer der Brücken, die den Kanal hinter dem Theater überspannten. Wir tranken Champagner und ließen uns von der Abendbrise erfrischen. Als Diana eines der Lieder aus »Aschenputtel« summte, vermischte sich das plätschernde Geräusch der nächtlichen Stadt mit der Erinnerung an die Musik. Dann brach sie ab und schaute mich so ernst an, dass ich dem augenblicklichen Impuls nachgab und sie zum ersten Mal leidenschaftlich küsste. Sie widersetzte sich nicht, umklammerte mich aber so fest, als würde sie ertrinken. Als wir uns voneinander lösten, sah ich Tränen in ihren Augen schimmern.
»Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
»Nein. Außer... Haben wir das Recht, glücklich zu sein... nach allem, was passiert ist?«
»Ich betrachte es als Pflicht, glücklich zu sein, nicht als ein Recht. Traurigkeit hat noch nie etwas gelöst.«
»Nein, aber...«
Ich küsste sie nochmals. »Lebe für die Gegenwart, Diana«, flüsterte ich. »Lebe für das, was wir haben.«
»Wir haben uns«, sagte sie, aber es schien, als wage sie es kaum, ihren eigenen Worten zu trauen.
Ich nickte. »Ganz genau.«
Aber unser Abend sollte nicht so entzückend enden, wie er begonnen hatte. Wir dinierten nach der Vorstellung in einem Restaurant in der Nähe des Theaters und schlenderten dann über die Piazza San Marco zurück, tranken eine Schokolade im Florian, wo ein Orchester draußen vor den Tischen das musikalische Thema aufnahm. Es war schon lange nach Mitternacht, als wir das Boot bestellten und zur Villa zurückkehrten. Wir erwarteten, und ich erflehte es geradezu, dass Vita bereits zu Bett gegangen sein möge. Aber sie war noch auf und hatte auch noch einen Besucher, den sie unterhalten musste, und zwar niemand Geringeren als Mr. Faraday. Ich spürte, wie Diana zusammenzuckte, als sie ihn erblickte, und ich meinerseits brachte nur mühsam ein schwaches Lächeln zustande.
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