Geschlossene Gesellschaft
runzelte die Stirn, nachdem sie die Nachricht gelesen hatte. »Wie ungewöhnlich!« »Was ist es?« wollte ich wissen.
»Ich weiß es nicht. Eine Art... Diagramm. Es sagt mir nichts. Tantchen?« Sie reichte Vita das Blatt, die einen kurzen Blick darauf warf und es dann auf die Tischdecke fallen ließ, so dass wir alle es deutlich sehen konnten.
Das Blatt war bis auf ein Paar konzentrischer Kreise leer. Der innere Kreis maß ungefähr zweieinhalb Zentimeter im Durchmesser, der äußere war doppelt so groß. Aus irgendeinem Grund erinnerten sie mich an Charnwoods Spiel mit dem Fünf-Shilling-Stück. Doch diesmal gab es zwei Kreise - und keinen Magier, der ihnen eine Bedeutung entlockte. »Was sagt dir das, Vita?« fragte Quincy. »Nichts«, erwiderte sie. Doch ihre Stimme klang erstickt, eher bestürzt als verwirrt. Sie war bleich geworden, und ihr Blick wirkte irgendwie alarmiert. »Irgendein absurder Scherz, vermute ich.«
»Ein sehr sinnloser Scherz, findest du nicht - da niemand ihn versteht?«
»Da hast du allerdings recht, Quincy.«
Diana nahm das Blatt hoch, starrte darauf und betrachtete dann den Umschlag. »Gestern hier in Venedig abgestempelt«, sagte sie nachdenklich. »Was kann das denn bedeuten?«
»Ich weiß es nicht«, behauptete Vita. »Und ich habe nicht vor, dem Absender den Gefallen zu tun, meine Gehirnzellen anzustrengen, um das herauszufinden. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich muss packen.« Sie stand rasch vom Tisch auf, wischte sich Brotkrumen von der Lippe und stürmte hinaus. Wir anderen schauten uns mit erhobenen Brauen an.
»Armes Tantchen«, meinte Diana. »Irgendwie scheint der Brief einen Nerv getroffen zu haben.«
»Anonyme Briefe sind immer beunruhigend«, meinte ich.
»Aber es ist kein Brief«, bemerkte Quincy. »Nur ein Diagramm. Es ist weder ausfallend noch bedrohlich - soweit ich sehen kann.«
»Und es war auch nicht unbedingt für Tante Vita bestimmt«, erinnerte uns Diana. »Es könnte genauso gut an mich gerichtet sein.«
»Und es sagt dir gar nichts?« fragte ich.
»Überhaupt nichts.«
»Im Gegensatz zu Vita«, stellte Quincy nachdenklich nickend fest.
Diana schaute erst ihn, dann mich an. Ihre Verwirrung wich langsam der Sorge um Vita. Sie steckte das Papier wieder in den Umschlag zurück, hielt ihn nachdenklich einen Moment mit beiden Händen fest und reichte ihn dann mir. »Verwahr das für mich, Guy, ja? Nur für den Fall - nun, für alle Fälle.«
»Sicher.« Ich nahm den Umschlag entgegen. »Aber...«
»Ich werde nach Vita sehen. Vielleicht will sie mit mir reden. Würdet ihr beide mich entschuldigen?«
»Was ist mit...« Doch sie war gegangen, bevor ich meinen Satz zu Ende bringen konnte. ».. .deinem Frühstück?« murmelte ich, als sich die Tür bereits hinter ihr geschlossen hatte.
»Ich glaube, ihr ist der Appetit vergangen«, vermutete Quincy. Er grinste bedauernd.
»Sieht so aus.« Ich schob den Umschlag samt Inhalt in meine Tasche. »Oder jemand hat ihn ihr genommen.«
»Etwa ein anonymer venezianischer Geometer? Dann sollten wir lieber abreisen.«
»Ja. Das glaube ich auch. In jeder Hinsicht.«
Die Abreise vertrieb den Gedanken an den eigenartigen Brief und Vitas Reaktion darauf aus meinem Kopf. Am späten Nachmittag verließ der Orientexpress langsam den Bahnhof Santa Lucia. Ich schaute aus dem Fenster meines Abteils auf die Lagune, die an uns vorbeizugleiten schien. Wie viel glücklicher wäre ich gewesen, wenn ich vor drei Wochen hätte abreisen können, als ich noch brennend entschlossen gewesen war, Max zu rehabilitieren. Jetzt war nichts mehr einfach. Diana und ich waren ein Liebespaar. Und die Schulden ihres Vaters sollten eingeklagt werden. Über uns hing ein Damoklesschwert, doch nur ich konnte es sehen. Bald, sehr bald würde ich reden müssen - oder hilflos zusehen, wie das Schwert herabfiel.
Als es dunkel wurde und wir uns Verona näherten, ging ich in den Speisewagen. Die Ladies würden vor dem Dinner noch eine Stunde für ihre Toiletten brauchen, und für mich wäre es wohl am besten, ich würde dem Pianisten zuhören, der ein paar Ragtime-Melodien als Fingerübung spielte, und dazu einige Manhattans trinken, um so meine Schwierigkeiten zu vergessen. Ich wollte allein sein, doch Quincy McGowan hatte anderes im Sinn.
»Großartige Idee, Guy. Ein langer kühler Drink, bevor es losgeht. Und eine kleine conversazione, bevor wir Italien verlassen. Sie sind bestimmt froh, in die Schweiz zu kommen.«
»Das muss ich
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