Geschmacksverwirrung - Angermüllers siebter Fall
wieder eine kerzengerade Haltung einnahm und die Arme vor der Brust kreuzte.
»Wie lange kennen Sie Victor Hagebusch schon?«, begann Angermüller.
»Vor ungefähr fünf Jahren fing er an, für die Lübecker Zeitung zu schreiben, von Anfang an für den Lübecker Lokalteil. Ich war die Leiterin des Redaktionssekretariats. Da hatten wir des Öfteren miteinander zu tun. Aber das ist jetzt schon länger her, dass ich ihn zuletzt gesehen habe. Na ja, hier hat sich inzwischen so einiges verändert«, stellte sie mit Verbitterung fest, »und ich mache ja nur noch ab und zu einmal Vertretung.«
»Und wie sind Sie mit Herrn Hagebusch klargekommen?«
»Sehr gut. Da kann ich gar nichts anderes sagen.«
Die Antworten der Sekretärin kamen schnell, in sachlichem Ton und präzise artikuliert.
»Wie war sein Verhältnis zu den anderen Kollegen und Kolleginnen hier im Haus?«
»Er war einer unserer Freien, weshalb er mit den fest angestellten Redakteuren nicht allzu viel zu tun hatte. Und seit der Chef – also unser alter Chef – gegangen ist, ist ja kaum noch was von Victor Hagebusch in der Lübecker erschienen. Die beiden kannten sich schon sehr lange, wissen Sie. Die hatten zusammen ihr Volontariat in München gemacht. Das waren zwei Journalisten!«
Große Bewunderung sprach aus ihrem letzten Satz.
»Ja?«
Angermüller schaute sie fragend an.
»Nun ja, nicht solche Leisetreter, die vor lauter politischer Korrektheit keine eigene Meinung mehr haben.«
Ganz kurz bekam die Stimme etwas Geiferndes, doch sie kehrte sofort wieder zu ihrer emotionslosen Leier zurück.
»Der Chef, der musste natürlich Rücksicht nehmen. Die Geschäftsleitung hat sich in den letzten Jahren immer öfter eingemischt. Deshalb ist der auch krank geworden, da bin ich mir sicher. Und dass er sieben Tage nach seinem Abschied vom Berufsleben gestorben ist … Da kann man sich ja auch so seinen Teil denken. Und jetzt auch noch der Herr Hagebusch.«
Sie traf diese letzten Feststellungen zwar wieder ohne merkbare Gemütsregung, aber zwischen dem Ableben der beiden Männer schien für sie ein logischer Zusammenhang zu existieren.
»Gab es jemanden hier im Haus, zu dem Victor Hagebusch eine enge kollegiale oder private Beziehung hatte?«
»Nicht, dass ich wüsste. Herr Hagebusch hatte eine treue Anhängerschaft unter unseren Lesern, das glaub ich wohl. Seine kritischen Artikel über manches, was hier in der Stadt so schiefläuft, trafen ja oft den Nerv der Leute. Bei den Kollegen hat er sich damit nicht gerade beliebt gemacht.«
Frau Tischbeins ohnehin stark verkleinerte Augen hinter den dicken Gläsern verengten sich, doch an ihrem spröden, ausdruckslosen Tonfall änderte sich nichts mehr.
»Da gibt es natürlich auch viel Neid, wissen Sie. Deshalb war er ganz froh, glaube ich, dass er sich auf mich immer verlassen konnte.«
»Hatten Sie über die Redaktion hinaus Kontakt zu Victor Hagebusch?«
»Wir sind ab und zu zusammen ausgegangen.«
Nur eine winzige Anhebung ihrer Tonlage und ein leichtes Zucken ihrer rechten Schulter verrieten, wie stolz Frau Tischbein auf diese Tatsache war.
»Nicht sehr oft. Ich durfte ihn ein paar Mal bei Recherchen in Restaurants begleiten. Herr Hagebusch ist – oder war – ja ein vielbeschäftigter Mann.«
»Was hatte er denn so viel zu tun?«
»Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Er schrieb wohl nicht nur für die Lübecker Zeitung. Jedenfalls war er meist in Eile und führte immer eine volle Aktentasche mit sich. Hin und wieder habe ich ihm einen Gefallen getan, im Rahmen meiner beruflichen Kompetenz natürlich. Das ist ja auch selbstverständlich. Er hat sich stets mit Marzipan oder Kaffee oder so etwas revanchiert, immer von allerbester Qualität, manchmal eben auch mit einem Restaurantbesuch.«
Frau Tischbein unterbrach sich. Sie schaute prüfend zu Angermüller und Jansen, schien zu überlegen, ob sie erzählen sollte, was ihr durch den Kopf ging.
»Einmal waren wir in der Ulmenschenke, damals das beste Lokal in der Stadt, ziemlich kostspielig. Er schien dort gut bekannt zu sein. Jedenfalls hat er auch lange mit dem Wirt geredet. Das Essen war hervorragend, und wir wurden äußerst zuvorkommend bedient. Es war ein ganz besonderer Abend, den ich nie vergessen werde.«
Schnarr, schnarr – auch bei dieser letzten Feststellung keine Modulation, keine Emotion. Das Unbehagen, das Angermüller beim Klang ihres Organs empfand, wurde immer stärker.
»Wie war er denn so als
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