Geschmacksverwirrung - Angermüllers siebter Fall
wunderschönen Laden würden Sie zu dem Preis sowieso nicht kriegen«, konterte Lina cool, die bei ihren Gästen stand, um die Bestellung aufzunehmen. »Sie müssen ja nicht unbedingt was mit Fleisch nehmen. Ist sowieso besser für Ihre Gesundheit, wenn Sie seltener Fleisch essen, und für die Umwelt! Es gibt ganz viele vegetarische Gerichte auf der Karte, die kosten weniger und sind mindestens genauso lecker.«
»Na, jetzt wollen Sie mir wohl auch noch vorschreiben, wie viel Fleisch ich essen darf. Vegetarisch! Sie sind ja vielleicht ’ne Nummer!«, polterte der Maler und sah sie erstaunt an.
»Ich kann nur sagen, wenn ich Ihnen erzählen würde, wo Ihr sogenanntes ordentliches Schnitzel herkommt und was alles damit gemacht wurde, würde Ihnen sowieso der Appetit vergehen«, gab Lina zurück.
Der Lehrling grinste schadenfroh und zeigte seine Zahnspange. Lina hatte vorhin mitbekommen, dass der Trupp seinetwegen in ihrem Café saß, da er Vegetarier war.
Freundlich erklärte sie seinem Kollegen, dass sie nur Fleisch aus artgerechter Tierhaltung von biologisch wirtschaftenden Höfen verwende, was natürlich etwas mehr koste. Lina kannte solche wie den Malergesellen zur Genüge. Inzwischen war es ihr auch egal, ob sie sich überzeugen ließen oder wieder aus ihrem Café verschwanden. Natürlich wusste sie, dass man so nicht mit Gästen umgehen durfte. Der Gast ist König, war die oberste Maxime, die ihr Ausbilder an der Hotelfachschule stets wie ein Mantra wiederholt hatte. Das mochte ja stimmen. Sie bediente die Leute wirklich gern, umsorgte sie, verwöhnte sie, verkaufte ihnen, was sie wünschten – aber nicht ihre Grundsätze.
Zum Glück gab es genug Menschen, die zu schätzen wussten, was ihnen im ›Torten, Suppen, Meer‹ geboten wurde. Gute, saubere Lebensmittel von kleinen Produzenten aus der Umgebung, in bester Qualität, frisch zubereitet. Das hatte natürlich seinen Preis. Aber schon lange lautete Linas Motto, weniger ist mehr.
»Was halten Sie denn von Spiegeleiern auf Vollkornbrot mit Holsteiner Katenschinken? Und dazu gibt’s eine extra Portion Linsensalat«, machte sie dem hungrigen Maler ein Versöhnungsangebot und zeigte dabei ihr charmantestes Lächeln. »Der Salat geht aufs Haus.«
»Das is doch ’n Wort, junge Frau«, nickte der Mann wieder etwas zugänglicher. »So mook wi dat.«
Für umsonst – das zog immer bei den Leuten. Nachdem Lina die restlichen Wünsche entgegengenommen hatte und dabei war, drei Milchkaffee und eine Limo für die Männer fertigzumachen, begannen ihre Gedanken wieder um das Geschehen am Vorabend zu kreisen. Erst ihre erfolglose Fahrt nach Lübeck, die Entdeckung des Polizeisiegels an der Tür und die bösen Ahnungen. Dann ihr unerwarteter Besucher und seine schlechten Nachrichten, die sie in einen Zustand flirrender Nervosität versetzt hatten. Ihr Brüderchen! Er war doch wirklich ein Pechvogel. An einem falscheren Ort zu einer falscheren Zeit konnte man ja gar nicht gewesen sein!
Bis gestern war sie nur von Skrupeln geplagt worden, ob sie mit ihrem Alleingang nicht doch ein viel zu hohes Risiko eingegangen war. Dies alles natürlich im Glauben, damit ihre Sache voranzubringen. Nur deshalb hatte sie wider besseres Wissen vertraut, Dinge aus der Hand gegeben und dadurch sich und andere in Gefahr gebracht. Sie lud die Getränke aufs Tablett.
»Bitteschön, drei Milchkaffee, einmal Ingwerlimo. Essen kommt gleich.«
Während sie zweimal von ihrer kräftigen Gemüsesuppe einfüllte, die Spiegeleier briet und einen Teller mit Fischerfrühstück anrichtete, musste sie daran denken, wie sie noch vor Stunden voller Hoffnung gewesen war, die Sache vielleicht doch noch irgendwie stoppen zu können. Nun aber war klar, dass nichts mehr zu ändern war. Es war zu spät. Victor war tot. Wahnsinn, das war alles Wahnsinn! Und mit niemandem konnte sie darüber reden. Ob sie vielleicht doch auf Olafs Anrufe reagieren sollte? Aber sie wollte das doch nicht, sich von einem Menschen, einem Mann abhängig machen! Sie würde das allein durchstehen. Hauptsache, ihr Bruder hatte ihr die ganze Wahrheit erzählt.
»Aha. Dat war nu ein Philosoph«, stellte Jansen fest, als sie vor dem Haus des Pastors wieder in ihrem Dienstwagen saßen. »Und der soll meinen Kindern später die Welt erklären?«
»Deine Kinder? Gibt’s irgendwas, das du mir noch nicht erzählt hast, Claus?«
Jansen fuhr sich mit den Fingern durch die aschblonden Stoppeln und winkte ab. Seine Miene verfinsterte
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