Geschmacksverwirrung - Angermüllers siebter Fall
gut für Weihnachten. Wo und wie sie wohl dieses Jahr feiern würde? Für die meisten Leute war dieses Fest ja unheimlich wichtig, wobei Lina sich fragte, ob die überhaupt wussten, warum sie es feierten, mal abgesehen von den vielen Geschenken und übermäßigem Essen. Sie selbst hatte in den letzten Jahren sehr unterschiedliche Weihnachten erlebt, in der Schweiz mit der Familie von Herrn Stucki, später auch mal ganz allein, meist aber mit vielen Freunden, letztes Jahr nur mit Olaf. Das war eigentlich das schönste Weihnachten, an das sie sich erinnerte.
Teufel und Madame, die träge auf ihrem Stammplatz vor dem Tresen lagen, hoben plötzlich die Köpfe. Gleich darauf öffnete sich die Eingangstür.
»Guten Tag, Frau Stucki.«
Die beiden Polizisten vom Vortag schon wieder! Was wollten die hier? Lina spürte, wie sich ihr Magen vor Schreck zusammenzog. Sie stand langsam auf.
»Guten Tag. Bitteschön?«
»Bleiben Sie doch sitzen, wir setzen uns einfach dazu«, sagte der große Dunkle mit dem weichen, südlichen Tonfall. Sein jüngerer Kollege nickte nur stumm und mit undurchsichtigem Gesicht und zog das kleine Diktiergerät aus der Tasche.
»Ach ja, so einen Karton mit gesammelten Rezepten hab ich auch!«, lächelte der Kommissar mit Namen, wie hieß er noch, Angermeier oder so. »Müsste ich auch mal sortieren.«
Er ließ sich ihr gegenüber auf einem Stuhl nieder und schaute sie freundlich an. Nie hätte sich Lina einen Kriminalkommissar so wie diesen gemütlich wirkenden Typen vorgestellt und schon gar nicht gedacht, dass er Kochrezepte sammelte. Wenn sie ehrlich war, hatte sie eigentlich noch nie über diese Zunft nachgedacht, weil sie noch mit keinem ihrer Vertreter bisher zu tun gehabt hatte. Sie kannte Kommissare nur aus Film und Fernsehen.
»Ja, Frau Stucki, wir mussten leider feststellen, dass Sie uns nicht die Wahrheit gesagt haben«, begann er nun und kramte in der Tasche von seinem komischen grünen Mantel.
»Ich nehme an, Sie kennen diese Nachricht?«
In einer Klarsichthülle, die der Mann auf den Tisch legte, steckte der Zettel, den sie vorgestern Abend in Victors Briefkasten gestopft hatte. Was wussten die beiden Ermittler? Hatten sie den Stick mit den Aufnahmen schon gefunden?
»Sie wollten Victor Hagebusch nicht einfach spontan besuchen, Frau Stucki. Sie hatten offensichtlich ein dringendes Anliegen, über das Sie mit ihm reden wollten«, befand der Dunkelhaarige.
Lina beschloss, es mit einer Ausrede zu versuchen, dann würde sie ja merken, ob die Polizei bereits im Bilde war. Aber was sollte sie sagen? Warum hatte Victor sie so dringend zurückrufen sollen?
»Also, es ging um Geld«, fing sie an und beobachtete die Reaktion der Beamten. »Ich hatte Victor um eine größere Summe, also, um einen Kredit gebeten. Ich muss hier im Café einiges machen, einiges investieren, und da er das mal angeboten hatte …«
»Mmh« machte dieser Angermüller, ja so war sein Name, und schaute sie prüfend an. »Und das war so dringend?«
Lina zuckte mit den Schultern.
»Ja. Wir hatten schon mehrmals darüber gesprochen. Ich habe Pläne gemacht, Sachen bestellt, Termine mit Handwerkern festgelegt. Es sollte jetzt eigentlich losgehen, und da musste ich natürlich wissen, ob ich mich auf Victors Zusage verlassen kann.«
»Und warum haben Sie uns das gestern nicht sagen wollen?«
»Was heißt nicht wollen?«
Trotzig blickte Lina zu dem Polizisten.
»Es war ja nicht wichtig für Sie, dachte ich. Ein bisschen unangenehm war es mir auch. Diese komplizierten Familienverhältnisse bei uns, mein Stiefvater, meine Mutter, zu der ich keinen Kontakt habe«, sie seufzte, »und schließlich saßen meine Kunden hier herum und die hätten dann womöglich noch gedacht, ich sei in finanziellen Schwierigkeiten.«
Der Kommissar nickte. So ganz überzeugt schien er nicht.
»Und was machen Sie jetzt?«
»Ich weiß nicht. Wenn ich niemanden finde, der mir das Geld leiht, muss ich wohl alles stoppen.«
Der jüngere Polizist hob ungläubig seine Brauen, sagte aber nichts.
»Haben Sie Ihren Bruder in den letzten Tagen eigentlich öfter getroffen?«, fragte sein Kollege nach einer kurzen Pause.
»Meinen Bruder?«
Wieso will er das jetzt wissen, dachte Lina. Hat Lorenzo mir doch nicht alles gesagt? Oh Mann, was mach ich?
»Nur vorgestern Abend war Lorenzo bei mir, nachdem ich aus Lübeck zurückgekommen war. Aber das wissen Sie ja schon. Da hat er mir doch das von Victor erzählt.«
Der Kommissar in Jeans und
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