Geschmacksverwirrung - Angermüllers siebter Fall
sollte. Normalerweise war sein ausgeprägtes Genießertum immer ein Ärgernis für seine Frau gewesen. Stets hatte sie versucht, ihn zur Mäßigung aufzurufen. Da gerade ein dickes Stück sahniger Brie in seinem Mund schmolz, konnte er ohnehin nichts tun als stumm zu lächeln. Es gab doch noch eine Menge Rätsel auf der Welt, sinnierte er.
»So«, Martin stand auf. »Es geht auf zwei Uhr. Ich muss jetzt mal nach Hause. Wollen wir Astrid noch ein bisschen aufräumen helfen?«
Wenig später standen alle auf der Straße. Wind war aufgekommen und hatte den Nebel vertrieben. Es war jetzt trocken, aber kalt. Man verabschiedete sich schnell. Alle gingen in verschiedene Richtungen auseinander.
Als Angermüller in seiner Wohnung ankam, hatte ihn die kalte Luft wieder munter gemacht. Trotzdem ging er sofort ins Bett, wo er noch eine ganze Weile wach lag, über Astrid, Martin und sich selbst nachdachte. Wie war er bloß auf die blöde Idee gekommen, Martin überwachen zu wollen? Außerdem, was ging es ihn an? Er lebte von seiner Frau getrennt. Klar, vorübergehend sagten sie beide. Aber glaubte er daran wirklich? Glaubte Astrid daran? Angermüller fand keine Antworten. Endlich fielen ihm die Augen zu, doch er schlief unruhig, träumte wild durcheinander, und als ihn um halb acht das Klingeln seines Handys aus dem Schlaf riss, brauchte er eine ganze Weile, um die Situation zu erfassen.
»Moin, Kollege!«
Das war Jansen. Er klang erschreckend munter.
»Es gibt Neuigkeiten von den IT-Leuten vom ZD. Die haben einen interessanten Fund gemacht.«
Angermüllers Kopf war wie in Watte gepackt und seine Stimme irgendwo verschwunden. Er hustete.
»Bin gleich da.«
Das kam irgendwo von ganz tief unten.
»Sach ma, wat hast du denn für ne Stimme? War wohl ein lustiger Abend gestern?«
Kapitel IX
Man hört jemanden atmen. Eine behandschuhte Hand malt riesige Buchstaben an eine weiße Wand, die ein kleiner Scheinwerfer beleuchtet. Hier werden Tiere gequält, steht da zu lesen, mit drei Ausrufezeichen und: Tiere sind Lebewesen, genau wie du! Pass bloß auf! Mörder! Es scheint sich um eine Art Scheune oder Stall zu handeln. Jetzt leuchtet etwas silbrig im Lichtstrahl auf, ein großer Bolzenschneider. Zwei Gestalten in weißen Overalls machen sich damit an einem Tor zu schaffen. Metall klappert. Freudiges Geheul.
»Jööh! Wir sind drin!«
Das Atmen wird lauter, im Hintergrund vereinzeltes Gegacker.
»Der Gestank hier drinnen ist unvorstellbar. Es beißt in meinen Lungen. Ich atme Ammoniak pur«, erklärt hektisch eine weibliche Stimme. Immer schneller wird der Atem, geht stoßweise.
»Mir ist übel.«
Grobkörnige Schwarzweißbilder. Mehrere kleine Lichtkegel irrlichtern durch einen großen, dunklen Raum. Auf dem Boden bewegt sich etwas. Federvieh. Puten. Die Tiere liegen in verschmutztem Stroh. Dicht an dicht. Manche heben verwirrt die Köpfe ins Licht, andere öffnen höchstens kurz ein Auge, dann dämmern sie weiter. Dazwischen liegen auch Tierkörper, die sich gar nicht mehr bewegen. Dann wieder die Stimme:
»Hier wachsen Puten. Vor allem wachsen ihre Brüste, der eiweißreiche, angeblich gesunde Rohstoff für viele Wurst- und Fleischspezialitäten. In diesem Dreck, in dieser üblen Luft. Nie zuvor habe ich etwas Vergleichbares gesehen. Wie viele Tiere sind das? Hunderte, Tausende? Sie liegen eng nebeneinander, manchmal aufeinander. Es ist entsetzlich. Es ist noch viel schlimmer, als ich es mir vorgestellt habe.«
Die Kamera schwenkt über ein Gewimmel von Vögeln. Manche versuchen schwankend auf ihre viel zu dünnen Beine zu kommen, wenn das Licht sie erfasst. Ein paar haben es geschafft und waten durch die Masse der anderen, manchmal auch darüber. Viele aber sind zu schwach, um sich aufzustellen, brechen wieder zusammen. Eine der Personen im Overall – insgesamt sind drei zu sehen – bahnt sich vorsichtig einen Weg zwischen den Puten, deutet auf einzelne Tiere, hält ihre Extremitäten in die Kamera.
»Es gibt kaum ein Tier, das keine Geschwüre hat. An den Beinen oder am Kopf. Viele haben Verletzungen. Die Gefieder sind verklebt mit Kot. Es ist unheimlich dreckig hier drin, einfach ekelerregend. Und vor allem ist es unendlich grausam«, sagt jetzt die Frauenstimme. Man hört sie schwer atmen.
Jetzt hebt der Mensch vor der Kamera, dessen Gesicht halb von einem Mundschutz verdeckt wird, einen der Tierkörper hoch. Er ist voller blutiger Stellen und hängt schlaff und leblos in seiner Hand.
»Die Kranken und
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