Geschmacksverwirrung - Angermüllers siebter Fall
Mineralwasser fühlte er sich wieder um einiges besser. Nur seine Stimme klang noch ziemlich angegriffen.
»Dieser Datenträger gehört also Ihnen und Sie wissen, was sich darauf befindet?«
»Ja«, Lina Stucki nickte. »Da ist das Video drauf, das wir auf dieser Geflügelfarm gedreht haben.«
»Vielleicht fangen Sie dann einfach damit an, uns zu erklären, wer diese Bilder aufgenommen hat und warum.«
»Also, einige Freunde und ich haben im letzten Jahr beschlossen, nicht immer nur über die schrecklichen Zustände in der tierquälerischen Fleischproduktion zu reden, sondern auch selbst was dagegen zu tun. Wir sind keine politische Gruppe oder so was, nicht einmal alle von uns sind Vegetarier oder Veganer,« sie unterbrach sich. »Wissen Sie, dass das ein total blödes Gefühl ist, wenn ich Ihnen das jetzt so erzähle? Ich komme mir vor wie eine Verräterin! Ich bin schuld, wenn meine Freunde jetzt Schwierigkeiten bekommen.«
»Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen, Frau Stucki. Es ehrt Sie, dass Sie Ihre Freunde schützen wollten«, erwiderte Angermüller nicht ohne Verständnis. »Und ich kann Ihnen nicht widersprechen. Sie alle werden Schwierigkeiten bekommen. Wahrscheinlich wird es eine Anzeige gegen Sie und die anderen geben. Doch Sie wussten ja vorher, dass Sie sich strafbar machen. Aber wir ermitteln hier in einem Tötungsdelikt, und dieser Stick befand sich im Besitz des Opfers. Ich muss Sie also leider bitten, mit Ihrer Schilderung fortzufahren und nichts auszulassen.«
Die Zeugin holte tief Luft und schloss die Augen.
»Wir sind ein Kreis von Leuten, die sich schon lange kennen und einfach ein Unwohlsein empfinden beim Anblick der Billigfleischberge in den Supermärkten. Wir haben also angefangen, Informationen zu sammeln, wo in unserer Umgebung Tierfabriken stehen, wo die Tiere unter grausamen Bedingungen massenhaft gehalten werden und in welchen Läden solches Fleisch verkauft wird. Unsere Erkenntnisse haben wir ins Internet gestellt, manchmal haben wir auch Flugblätter verfasst und vor Lebensmittelmärkten und Discountern verteilt.«
»So was wie das hier?«, wollte Angermüller wissen und nahm ein Blatt von einem der Stapel, die neben ihnen im Regal lagen. Ein paar qualitativ nicht sehr hochwertige Fotos von krank aussehendem oder verendetem Federvieh waren neben einen Text gestellt.
»Guten Tag, mein Name tut hier nichts zur Sache, abgesehen davon, dass ich gar keinen habe«, las der Kriminalhauptkommissar laut vor. »Ich erblickte das Licht der Welt vor ungefähr einem halben Jahr. Doch es war nicht die Sonne, in die ich blinzelte, es war das Kunstlicht in einer Brüterei. Und so weiter, und so weiter.«
Missmutig klopfte Claus Jansen mit dem Zeigefinger gegen seine Lippen. Die Zeugin ließ er nicht aus den Augen.
»Ja, genau. Solche Flugblätter haben wir unter den Leuten verteilt, wenn sie zum Einkaufen gingen«, bestätigte die junge Frau. Während sie die Motivation für ihr Engagement zu erklären versuchte, wurde sie zusehends ruhiger.
»Aber das und alles andere hat nicht viel gebracht. Es ist sehr schwer, die Aufmerksamkeit der Verbraucher auf diese Problematik zu lenken. Die horchen immer nur auf, wenn es einen neuen Lebensmittelskandal gibt. Dann ekeln sie sich oder haben Angst um ihre Gesundheit, essen eine Zeit lang kein Fleisch mehr, kaufen nur noch Bio-Eier und drei Wochen später ist alles wieder vergessen. Ja, da haben wir gedacht, unsere Aktionen müssten irgendwie spektakulärer werden.«
»Und da haben Sie dieses Video gedreht?«
»Ja, genau. Uwe, der wohnt in so einem kleinen Ort im Norden vom Ratzeburger See, und da in der Nähe liegt dieser Geflügelhof. Und da haben wir angefangen.«
»Wer war alles dabei bei dieser Aktion?«
Lina Stucki nannte die Namen von zwei Männern und einer Frau.
»Und was hat der Hagebusch da nu mit zu schaffen?«, ging Jansen ungeduldig dazwischen. »Is das auch einer von Ihren komischen Freunden, oder wie?«
»Quatsch! Was denken Sie denn?«, reagierte Lina Stucki gereizt. »Außerdem hab ich keine komischen Freunde!«
»Erzählen Sie bitte weiter, Frau Stucki«, bat Angermüller und stieß Jansen unter dem Tisch gegen das Schienbein. »Sie haben sich also nicht wegen finanzieller Hilfe für Ihr Café an Hagebusch gewandt?«
»Ich hatte keinen Kontakt zu Victor, bis ich ihm vor ein paar Wochen zufällig in Lübeck über den Weg gelaufen bin. Ich hab mich nicht gerade gefreut, ihn zu treffen, aber irgendwie war ich auch neugierig,
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