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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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würde sie jetzt auch auf mich übergreifen?
    Mein Herz kämpfte gegen sich selbst, setzte zu einem harten Schlag nach dem anderen an.
    Obwohl ich mir niemals hatte vorstellen können, einen anderen Menschen zu töten, glaubte ich jetzt, fähig zu sein, diesen Mann zu erschießen, weil ich damit nicht nur Orson rettete, sondern auch unzählige Mädchen und Frauen, die er in seinem Alptraum willkommen heißen wollte.
    »Lassen Sie den Hund sofort aus dem Wagen steigen«, sagte ich mit ruhigerer Stimme, als ich es für möglich gehalten hätte.
    Sein Gesicht verzog sich zu jenem vertrauten Klapperschlangengrinsen. »Hast du vergessen, wer hier der Cop ist?« sagte er ungläubig. »Na, du Mißgeburt? Hast du vergessen, wer die Knarre hat?«
    Ich würde das Arschloch vielleicht nicht mit dem ersten Schuß töten, nicht einmal auf so geringe Entfernung. Selbst wenn die erste Kugel ihn ins Herz traf, würde er vielleicht noch im Reflex einen Schuß abfeuern, der mich auf die weniger als einen halben Meter große Distanz nicht verfehlen konnte.
    Er beendete das Patt: »Na schön, willst du zusehen, wie ich es tue?«
    Er drehte sich halb auf seinem Sitz um, stieß den Lauf seiner Pistole durch eine der kleinen Löcher in dem Stahlgitter und schoß auf den Hund.
    Die Detonation ließ den Wagen erzittern, und Orson jaulte auf.
    »Nein!« schrie ich.
    Als Stevenson dabei war, seine Waffe wieder aus dem Maschengitter zu zerren, schoß ich auf ihn. Die Kugel stanzte ein Loch durch meine Lederjacke und riß seine Brust auf. Er feuerte ungezielt in die Decke. Ich schoß noch einmal auf ihn, traf ihn diesmal am Hals, und das Fenster hinter ihm zersplitterte, als die Kugel aus seinem Nacken austrat.

26
    Ich saß wie betäubt da, als hätte ein Zauberer einen Bann auf mich gelegt, konnte mich nicht bewegen, nicht mal blinzeln, mein Herz hing wie ein Bleigewicht in meiner Brust, ich nahm nichts mehr wahr, fühlte die Pistole in meiner Hand nicht mehr, sah nichts mehr, rein gar nichts mehr, nicht einmal die Leiche, von der ich wußte, daß sie auf der anderen Seite der Sitzbank lag, war kurz durch den Schock geblendet, wurde von Schwärze verwirrt und gefesselt, war entweder durch den Schuß vorübergehend taub oder vielleicht aufgrund des verzweifelten Verlangens, nicht einmal die innere Stimme meines Gewissen zu hören, die etwas von Konsequenzen faselte.
    Der Geruchssinn war der einzige Sinn, der mir noch geblieben war. Der Schwefel-Kohlenstoff-Gestank des Schusses, der metallische Geruch des Blutes, die scharfe Ausdünstung von Urin – Stevenson hatte während seiner Todeszuckungen die Kontrolle über die Blase verloren – und der Rosenduft des Shampoos meiner Mutter wirbelten gleichzeitig über mich hinweg, ein Sturm der angenehmen und widerlichen Gerüche. Alle waren real, nur der des Rosenöls nicht. Den hatte ich schon lange vergessen, doch nun wurde er mit all seinen feinen Nuancen aus meinem Gedächtnis gerufen. Extremer Schrecken gibt uns die Gesten unserer Kindheit zurück, heißt es bei Chazal. Mit dem Geruch dieses Shampoos versuchte ich in meinem Entsetzen auf meine Weise nach meiner verstorbenen Mutter zu greifen, in der Hoffnung, ihre Hand würde sich beruhigend um die meine schließen.
    In einem brutalen Ansturm kehrten Sehvermögen, Geräusche und alle Wahrnehmungen zu mir zurück und schüttelten mich fast so hart durch, wie die beiden 9-mm-Kugeln Lewis Steven-son durchgerüttelt hatten. Ich schrie auf und rang nach Luft.
    Unbeherrscht zitternd, drückte ich auf den Knopf im Armaturenbrett, auf den der Chief zuvor gedrückt hatte. Die elektrischen Schlösser der Hintertüren öffneten sich mit einem lauten Klicken.
    Ich stieß die Tür an meiner Seite auf, stieg aus dem Streifenwagen und riß die hintere Tür auf, rief dabei hektisch Orsons Namen, fragte mich, ob ich ihn noch rechtzeitig zum Tierarzt tragen konnte, um ihn zu retten, falls er verletzt war, fragte mich, wie ich damit fertig werden würde, falls er tot war. Er durfte einfach nicht tot sein. Er war kein normaler Hund: Er war Orson, mein Hund, seltsam und etwas Besonderes, Gefährte und Freund, erst seit drei Jahren bei mir, aber nun ein genauso wesentlicher Bestandteil meiner dunklen Welt wie alle anderen darin.
    Und er war nicht tot. Er sprang mit solcher Erleichterung aus dem Wagen, daß er mich fast von den Füßen riß. Sein durchdringendes Jaulen nach dem Schuß war also ein Ausdruck des Schreckens und nicht des Schmerzes gewesen.
    Ich sank auf

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