Geschöpfe der Nacht
ebenfalls weg, wieder zur Windschutzscheibe, und während der Lorbeerbaum erneut seinen Nebelschrot abwarf, wurde sein Schluchzen leiser, bis er schließlich wieder reden konnte. »Seit letzter Woche denke ich mir immer wieder neue Ausreden ein, um Kyra besuchen und in Brandys Nähe sein zu können.« Zuerst verzerrte ein Zittern seine Worte, aber es legte sich schnell und wurde von der hungrigen Stimme des seelenlosen Unholds ersetzt. »Und manchmal, wenn mich ganz spät in der Nacht diese verdammte Stimmung überkommt, wenn ich mich innerlich so kalt und leer fühle, daß ich schreien und nie wieder damit aufhören will, denke ich, daß ich diese Leere nur auffüllen, dieses fürchterliche Nagen an meinen Eingeweiden nur beenden kann… indem ich tue, was mich in den Träumen glücklich macht. Und ich werde es auch tun. Früher oder später werde ich es tun. Früher oder später.« Die Flut der Gefühle war nun von Schuld und Qual vollends zu einer stillen, aber dämonischen Vorfreude umgeschwungen. »Ich werde es tun und immer wieder tun. Ich halte schon nach Mädchen in Brandys Alter Ausschau, gerade mal neun oder zehn Jahre alt, so schlank wie sie, so hübsch wie sie. Es wird sicherer sein, mit einer anzufangen, die nicht mit mir verwandt ist. Sicherer, aber trotzdem befriedigend. Es wird sich so unendlich gut anfühlen. Es wird sich so gut anfühlen, die Macht, die Zerstörung, alle Fesseln abzuwerfen, mit denen man leben muß, die Mauern einzureißen, völlig frei zu sein, endlich völlig frei zu sein. Ich werde es beißen, dieses Mädchen, wenn ich mit ihm allein bin, immer wieder beißen. In den Träumen lecke ich ihre Haut ab, und sie schmeckt ganz salzig, und dann beiße ich sie und fühle, wie ihre Schreie in meinen Zähnen vibrieren.«
Selbst in dem schwachen Licht sah ich, daß die Adern in seinen Schläfen wie verrückt pochten. Er biß sich auf die Zähne, und seine Mundwinkel zuckten vor Erregung. Er kam mir eher wie ein Tier denn wie ein Mensch vor – oder wie etwas, das weniger als das eine oder das andere war.
Meine Hand umklammerte die Glock so heftig, daß der Arm bis zu meiner Schulter hoch schmerzte. Urplötzlich wurde mir klar, daß der Finger sich um den Abzug gekrümmt hatte und zu befürchten stand, daß ich unabsichtlich einen Schuß abgab, obwohl ich meine Position noch nicht so verändert hatte, daß die Mündung auf Stevenson deutete. Mit beträchtlicher Mühe gelang es mir, den Finger vom Abzug zu nehmen.
»Was hat Sie dazu gemacht?« fragte ich.
Als er mir den Kopf zuwandte, schimmerte wieder das kurzlebige Leuchten in seinen Augen. Und nachdem es verblaßte, war sein Blick dunkel und mörderisch. »Ein kleiner Lieferjunge«, sagte er geheimnisvoll. »Nur ein kleiner Lieferjunge, der nicht sterben wollte.«
»Warum erzählen Sie mir von Ihren Träumen, davon, was Sie mit einem kleinen Mädchen alles anstellen werden?«
»Weil ich dir ein Ultimatum stellen werde, du verdammte Mißgeburt, und weil du begreifen sollst, wie ernst es ist, wie gefährlich ich bin, wie wenig ich zu verlieren habe und welche Freude es mir bereiten wird, dich aufzuschlitzen, falls es dazu kommt. Es gibt andere, die dich nicht anrühren werden…«
»Wegen meiner Mutter.«
»Das weißt du also auch schon?«
»Aber ich weiß nicht, was es bedeutet. Was hat meine Mutter damit zu tun?«
»Es gibt andere, die dich nicht anrühren werden«, sagte Stevenson, statt meine Frage zu beantworten, »und die auch nicht wollen, daß ich dich anrühre. Aber wenn es sein muß, werde ich es tun. Wenn du weiterhin deine Nase in diese Sache steckst, werde ich dir den Kopf einschlagen, das Gehirn auslöffeln und es den Fischen in der Bucht zum Fraß vorwerfen. Kaufst du mir das ab?«
»Ich glaube Ihnen«, sagte ich aufrichtig.
»Du hast ein Buch geschrieben, einen Bestseller, und vielleicht kannst du gewisse Medienleute dazu bringen, dichanzuhören. Wenn du irgendwen anrufst, um Ärger zu machen, werde ich mich zuerst um diese Schlampe von Diskjockey kümmern. Ich werde ihr Inneres in mehr als nur einer Hinsicht nach außen kehren.«
Sein Verweis auf Sasha erzürnte mich, jagte mir aber auch solch eine Angst ein, daß ich den Mund hielt.
Nun war klar, daß Roosevelt Frosts Warnung tatsächlich nur ein guter Rat gewesen war. Roosevelt, der angeblich in Vertretung der Katze sprach, hatte mich darauf vorbereiten wollen, daß ich mit einer Drohung rechnen mußte. Das war sie.
Die Blässe war aus Stevensons Gesicht
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