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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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fertig ist. Wenn sie ihre Übungen gemacht hat, ist sie stets schwungvoller als zuvor, ganz rot im Gesicht und in Hochstimmung. Und wenn sie in verschiedenen Yogapositionen meditiert hat, scheint die Intensität ihrer Entspannung so stark zu sein, daß sie die Zimmerwände zum Einsturz bringen könnte.
    Mein Gott, wie ich sie liebe.
    Als ich aus dem Übungsraum wieder in den Korridor der ersten Etage trat, überkam mich erneut diese Vorahnung eines bevorstehenden Verlusts. Auf einmal zitterte ich so heftig, daß ich mich gegen die Wand lehnen mußte, bis der Anfall vorüber war.
    Am hellichten Tag konnte ihr nichts passieren, nicht während der zehnminütigen Fahrt vom Studiogebäude auf dem Signal Hill durch die Stadtmitte. Der Trupp scheint nur nachts umherzustreifen. Tagsüber tauchen sie offenbar irgendwo unter, vielleicht in der Kanalisation unter der Stadt oder auch in den Hügeln, wo ich die Schädelsammlung gefunden hatte. Und die Menschen, denen man nicht mehr vertrauen kann, die Wechselbälger wie Lewis Stevenson, scheinen sich unter der Sonne besser unter Kontrolle zu haben als unter dem Mond. Wie bei den Tiermenschen in Die Insel des Dr. Moreau scheint die Wildheit in ihnen sich nachts nicht so leicht zu unterdrücken lassen. Mit Anbruch der Dämmerung verlieren sie einen Teil ihrer Selbstbeherrschung; in ihnen erwacht ein gewisser Abenteuerdrang, und sie wagen etwas, wovon sie tagsüber nicht mal träumen. Nun, da der Tag anbrach, konnte Sasha bestimmt nichts mehr passieren; vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben verspürte ich bei Sonnenaufgang Erleichterung.
    Schließlich kam ich zu ihrem Schlafzimmer. Hier findet man keine Musikinstrumente, kein einziges Buch, keine Töpfe oder Kästen mit Kräutern, keine Flaschen mit Vitaminen, keine Übungsgeräte. Das Bett ist schlicht, mit einem glatten Kopfende, ohne Fußende, und einer dünnen, weißen Chenilledecke bezogen. An der Kommode, den Nachttischen oder den Lampen ist nichts bemerkenswert. Die Wände sind blaßgelb, genau wie die Farbe morgendlichen Sonnenlichts in einer Wolke; keine Bilder unterbrechen ihre glatten Flächen. Der Raum könnte einigen Menschen nackt vorkommen, aber wenn Sasha sich in ihm befindet, ist er genauso kunstvoll geschmückt wie ein barocker Salon in einem französischen Schloß, so klar und rein wie ein Meditationspunkt in einem Zengarten. Sie schläft nie unruhig, immer so tief und fest wie ein Stein auf dem Meeresboden, so daß man unwillkürlich nach ihr greift, um sie zu berühren, die Wärme ihrer Haut oder das Pochen ihres Pulses zu spüren und die plötzliche Angst um sie zu beruhigen, die einen gelegentlich überkommt. Wie bei so vielen Dingen hat sie eine Leidenschaft für den Schlaf. Sie hat auch eine Leidenschaft für die Leidenschaft, und wenn man mit ihr schläft, hört das Zimmer zu existieren auf, und man ist in einer zeitlosen Zeit und in einem raumlosen Raum, wo es nur Sasha gibt, nur ihr Licht und ihre Wärme, das prachtvolle Licht, das strahlt, aber nicht brennt.
    Als ich zum ersten der drei Fenster ging, um die Jalousien zu schließen, und am Kopf des Bettes vorbeikam, sah ich einen Gegenstand auf der Tagesdecke. Er war klein, unregelmäßig geformt und glänzend: ein Stückchen handbemaltes, glasiertes Porzellan. Die Hälfte eines lächelnden Mundes, die Krümmung einer Wange, ein blaues Auge. Eine Scherbe des Gesichts der Christopher-Snow-Puppe, die in dem Augenblick, bevor die Lichter erloschen waren und der Rauch von oben und unten ins Treppenhaus eingedrungen war, in Angela Ferrymans Haus an der Wand zersplittert war.
    Mindestens ein Angehöriger des Trupps war also während der Nacht hier gewesen.
    Diesmal zitterte ich eher vor Zorn denn vor Furcht, während ich die Pistole aus meiner Jacke riß und mich anschickte, das Haus zu durchsuchen, vom Dachboden abwärts, jeden Raum, jeden großen und kleinen Schrank, jedes noch so kleine Versteck, in dem eines dieser verhaßten Geschöpfe sich verbergen könnte. Ich war weder ruhig noch vorsichtig. Ich fluchte und stieß Drohungen aus, die ich jederzeit in die Wirklichkeit umgesetzt hätte, während ich Türen aufriß, Schubladen zuschlug, mit einem Besenstil unter Möbeln stocherte. Kurz gesagt, ich machte solch einen Lärm, daß Orson in der Erwartung, mich in einem Kampf auf Leben und Tod vorzufinden, zu mir lief – und mir dann vorsichtig in einiger Entfernung folgte, als fürchtete er, daß ich in meinem aufgebrachten Zustand mich selbst in den Fuß

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