Geschöpfe der Nacht
Befehl – und zeigte auf das Fenster.
Weil Pinn direkt auf mich zukam, zuckte ich vom Fenster zurück. Er schloß die halb geöffneten Lamellen der Jalousie.
Ich bezweifelte, daß er mich gesehen hatte.
Andererseits kannte ich mich als einen hoffnungslosen Optimisten. Daher kam ich zum Schluß, es könnte bei dieser Gelegenheit vielleicht ganz ratsam sein, auf einen warnenden Instinkt zu hören und nicht länger zu verweilen. Ich eilte zwischen der Garagenwand und dem Eukalyptuswäldchen durch die todesschwangere Luft auf den Hof zu.
Die trockenen Blätter knirschten unter meinen Füßen wie harte Schneckenhäuser. Zum Glück wurde das Geräusch vom Rauschen des Windes in den Bäumen über mir verdeckt.
Die Brise trug das hohle, leise Säuseln der See mit sich, über die sie so lange gereist war, und tarnte meine Bewegungen.
Sie würde aber auch die Schritte eines etwaigen Verfolgers übertönen.
Ich war sicher, daß der Anruf von einem der Pfleger im Krankenhaus gekommen war. Sie hatten den Inhalt des Reisekoffers durchsucht, die Brieftasche meines Vaters gefunden und den Schluß gezogen, daß ich in der Tiefgarage gewesen war und den Leichentausch beobachtet hatte.
Mit dieser Information war Sandy klar geworden, daß mein Erscheinen auf seiner Schwelle nicht so harmlos gewesen war, wie es den Anschein gehabt hatte. Er und Jesse Pinn würden hinauskommen, um festzustellen, ob ich noch immer auf dem Gelände herumschlich.
Ich erreichte den Hinterhof. Der gepflegte Rasen sah breiter und offener aus, als ich ihn in Erinnerung hatte.
Der Vollmond war nicht heller als noch vor ein paar Minuten, aber jede glatte Oberfläche, die zuvor sein mattes Licht absorbiert hatte, spiegelte und verstärkte es nun. Ein unheimliches silbernes Leuchten durchdrang die Nacht und verweigerte mir den Schutz.
Ich wagte es nicht, den breiten Ziegelpatio zu überqueren. Vielmehr hielt ich mich vom Haus und der Auffahrt fern. Es wäre zu riskant gewesen, das Grundstück auf demselben Weg zu verlassen, auf dem ich es betreten hatte.
Ich lief über den Rasen zum Feld mit den Rosenbeeten am hinteren Teil des Grundstücks. Vor mir lagen abfallende Terrassen mit weiten, rechtwinklig angeordneten Spalierreihen, zahlreichen tunnelähnlichen Lauben und einem Labyrinth sich schlängelnder Wege.
An unseren sanften Küsten verzögert der Frühling sein Debüt nicht bis zu jenem Tag, den der Kalender als seinen Anfang feiert: die Rosen blühten bereits. Die roten und anderen dunkel gefärbten Blumen kamen mir im Mondlicht schwarz vor, Rosen für einen finsteren Altar, aber ich sah auch riesige weiße Blüten, so groß wie Kinderköpfe, die zum Wiegenlied der Brise nickten.
Hinter mir vernahm ich Männerstimmen. Sie wurden vom klagenden Wind zerrissen und verweht.
Ich duckte mich hinter ein großes Spalier und sah durch die offenen Quadrate zwischen den weißen Gitterwegen zurück. Behutsam schob ich die gewundenen Ranken mit den spitzen Dornen zur Seite.
Neben der Garage jagten die Lichtstrahlen von zwei Taschenlampen die Schatten aus dem Gebüsch, ließen Phantome über Baumäste springen und leuchteten auf Fenstern auf.
Sandy Kirk war hinter einer der Taschenlampen und schleppte zweifellos die Pistole mit sich rum, die ich gesehen hatte. Jesse Pinn war wahrscheinlich auch bewaffnet.
Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der Bestattungsunternehmer und ihre Mitarbeiter nicht mit Pistolen bewaffnet waren. Bis zu diesem Abend war ich davon ausgegangen, noch in dieser Epoche zu leben.
Überrascht bemerkte ich den Lichtstrahl einer dritten Taschenlampe an der hinteren Ecke des Hauses. Dann einen vierten. Dann einen fünften.
Einen sechsten.
Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wer diese neuen Häscher sein konnten oder woher sie so schnell gekommen waren. Sie schwärmten aus, bildeten eine langgezogene Linie und arbeiteten sich zielstrebig über den Hof voran, den Patio, am Swimmingpool vorbei, dem Rosengarten entgegen, suchten mit den Taschenlampen, bedrohliche Gestalten, so merkmalslos wie Dämonen in einem Traum.
7
Die gesichtslosen Verfolger und die schier unüberwindbaren Irrgärten, die uns im Schlaf zu schaffen machen, waren plötzlich Wirklichkeit.
Die Gärten führten in fünf breiten Terrassen einen Hügel hinab. Trotz dieser Plateaus und des Umstands, daß die Hänge zwischen ihnen ziemlich sanft abfielen, bekam ich zuviel Schwung, als ich sie hinunterlief, und mußte befürchten zu stolpern, zu fallen oder mir gar ein Bein
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