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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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hinaufschauten und dann sehen würden, wie die letzten Bestandteile ihrer geliebten Verstorbenen in grauen Rauchfähnchen in den Himmel stiegen.
    Zu unserem Glück war Bobbys Vater, Anson, Chefredakteur der Moonlight Bay Gazette. Bobby nutzte seine Verbindungen und den Umstand, daß er sich praktisch jeden Tag in den Büroräumen der Zeitung aufhielt, um uns die neuesten Informationen über Tod durch Unfälle und natürliche Ursachen zu verschaffen.
    Wir wußten also stets, wann Frank Kirk eine frische Leiche hatte, wenn auch nicht genau, ob er sie einbalsamieren oder einäschern würde. Direkt nach Sonnenuntergang fuhren wir mit den Fahrrädern in die Nähe des Bestattungsinstituts und schlichen uns dann auf das Gelände, warteten am Fenster des Krematoriums, bis entweder die Action begann oder wir irgendwann eingestehen mußten, daß die neue Leiche nicht in den Ofen kam.
    Mr. Garth, der sechzig Jahre alte Präsident der First National Bank, starb Ende Oktober an einem Herzinfarkt. Wir beobachteten, wie er ins Feuer ging.
    Im November fiel ein Schreiner namens Henry Aimes von einem Dach und brach sich den Hals. Obwohl Aimes eingeäschert wurde, bekamen Bobby und ich nichts davon mit, weil Frank Kirk oder sein Mitarbeiter auf die Idee kam, die Lamellen der Jalousie zu schließen.
    Die Jalousie war jedoch in der zweiten Dezemberwoche geöffnet, als wir uns zur Einäscherung Rebecca Acquilains einfanden. Sie war mit Tom Acquilain verheiratet gewesen, einem Mathematiklehrer an der Junior High School, die Bobby besuchte, ich aber nicht. Mrs. Acquilain, die städtische Bibliothekarin, war erst dreißig gewesen und Mutter eines fünf Jahre alten Jungen namens Devlin.
    Als Mrs. Acquilain auf der Rollbahre lag, vom Hals abwärts in ein Laken gehüllt, war sie so schön, daß ihr Gesicht nicht nur ein Bild auf unseren Augen, sondern eine Last auf unserer Brust war. Uns stockte der Atem.
    Uns war natürlich klar gewesen, schätze ich, daß sie eine hübsche Frau war, aber wir hatten nie für sie geschwärmt. Sie war schließlich die Bibliothekarin und Mutter eines kleinen Jungen, während wir dreizehn Jahre alt und nicht geneigt waren, Schönheit zu bemerken, die so still wie das Sternenlicht war, das vom Himmel fiel, und so klar wie Regenwasser. Die Art von Frau, die nackt auf Spielkarten abgebildet war, erzeugte den Blitz, der unsere Blicke anzog. Wir hatten Mrs. Acquilain bis zu diesem Augenblick oft angeschaut, aber nie gesehen.
    Der Tod hatte sie nicht entstellt, denn sie war schnell gestorben. Eine schwache Stelle in einer Arterienwand im Gehirn, die sie zweifellos von Geburt an gehabt hatte, ohne es zu ahnen, war im Verlauf eines Nachmittags angeschwollen und geplatzt. Sie war innerhalb weniger Stunden tot.
    Sie lag mit geschlossenen Augen auf der Rollbahre. Ihre Gesichtszüge waren entspannt. Sie schien zu schlafen; ihr Mund war sogar leicht gekräuselt, als hätte sie einen angenehmen Traum.
    Als die beiden Leichenbestatter das Laken entfernten, um Mrs. Acquilain in den Pappkartonsarg zu legen und dann in den Feuerbestattungsofen zu schieben, sahen Bobby und ich, daß sie schlank war, wohlproportioniert und schöner, als man es mit Worten beschreiben konnte. Das war eine Schönheit, die über bloße Erotik hinausging, aber wir sahen sie nicht mit morbider Begierde, sondern mit Ehrfurcht an.
    Sie sah so jung aus.
    Sie sah unsterblich aus.
    Die Bestattungsunternehmer brachten sie mit einer Behutsamkeit und einem Respekt zum Ofen, der uns ungewöhnlich vorkam. Als die Klappe hinter der Toten geschlossen war, zog Frank Kirk die Gummihandschuhe aus und wischte sich mit dem Handrücken zuerst das linke und dann das rechte Auge ab. Es war kein Schweiß, den er da entfernte.
    Während anderer Einäscherungen hatten Frank und sein Mitarbeiter fast ständig miteinander geplaudert, auch wenn wir nie genau verstehen konnten, was sie sagten. In dieser Nacht sprachen sie kaum ein Wort.
    Bobby und ich blieben ebenfalls stumm.
    Wir brachten die Bank auf den Innenhof zurück. Wir schlichen von Frank Kirks Grundstück.
    Nachdem wir zu unseren Fahrrädern zurückgekehrt waren, fuhren wir durch Moonlight Bay, aber nur durch die dunkelsten Straßen.
    Wir fuhren zum Strand.
    Zu dieser Stunde, zu dieser Jahreszeit, war der breite Sand-streifen verlassen. Hinter uns waren die Lichter der Stadt zu sehen, so farbenprächtig wie die Federn eines Phönix, der auf den Hügeln nistete und hinter einer Fülle von Bäumen flatterte. Vor uns

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