Geschöpfe der Nacht
Die Wände sind mit dunklem, prächtigem Teakholz getäfelt, die Fenster groß, die Böden verschiefert, die Möbel bequem.
Schmückendes Beiwerk ist – von der natürlichen Umgebung mal abgesehen – auf acht erstaunliche Aquarelle von Pia Klick beschränkt, eine Frau, die Bobby noch immer liebt, obwohl sie ihn verlassen hat, um eine Weile in Waimea Bay am nördlichen Ufer von Oahu zu leben. Er wollte sie begleiten, aber sie meinte, sie müsse allein in Waimea wohnen, das sie als ihre spirituelle Heimat bezeichnet; die Harmonie und Schönheit des Ortes sollen ihr den Seelenfrieden geben, den sie braucht, um sich zu entscheiden, ob sie mit ihrem Schicksal leben soll oder nicht. Ich weiß nicht, was das bedeutet. Bobby weiß es auch nicht. Pia hat gesagt, sie wolle einen oder zwei Monate dort bleiben. Das war vor drei Jahren. Bei Waimea kommt die Dünung aus extrem tiefem Wasser. Die Wellen sind hoch, wie eine Mauer. Pia sagt, sie seien so grün wie durchscheinende Jade. An manchen Tagen träume ich davon, an diesem Strand spazierenzugehen und das Donnern dieser Brecher zu hören. Einmal im Monat ruft Bobby Pia an, oder sie ihn. Manchmal unterhalten sie sich ein paar Minuten, manchmal ein paar Stunden lang. Sie ist nicht mit einem anderen Mann zusammen, und sie liebt Bobby. Pia ist einer der freundlichsten, sanftesten und klügsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Ich verstehe nicht, warum sie so etwas tut. Bobby auch nicht. Die Tage verstreichen. Er wartet.
In der Küche holte Bobby eine Flasche Corona aus dem Kühlschrank und reichte sie mir.
Ich drehte den Verschluß ab und trank einen Schluck. Keine Limone, kein Salz, ganz anspruchslos.
Er machte eine Flasche Heineken für Orson auf. »Die Hälfte oder alles?«
»Es ist eine extreme Nacht«, sagte ich. Trotz meiner unheilvollen Nachrichten steckte ich tief in den tropischen Rhythmen von Bobbyland.
Er leerte die Flasche in eine tiefe, emaillierte Schüssel auf dem Boden, die er für Orson gekauft hat. Auf die Schüssel hat er mit Blockbuchstaben ROSEBUD gemalt, ein Verweis auf den Schlitten des Kindes in Orson Welles’ Citizen Kane.
Ich habe nicht die Absicht, meinen Hundegefährten zum Alkoholiker zu machen. Er bekommt nicht jeden Tag ein Bier, und normalerweise teilt er sich mit mir eine Flasche. Aber er findet Vergnügen daran, und ich will ihm nicht nehmen, was ihm Spaß macht. Aufgrund seines beträchtlichen Körpergewichts wird er von einem Bier auch nicht betrunken. Gibt man ihm jedoch zwei, macht der Hund einem klar, was es heißt, ein Partylöwe zu sein.
Während Orson geräuschvoll das Bier schlappte, machte Bobby sich ebenfalls ein Corona auf und lehnte sich dann gegen den Kühlschrank.
Ich stand neben dem Spülbecken gegen die Küchenzeile gelehnt. In der Küche befand sich zwar ein Tisch mit Stühlen, aber Bobby und ich lehnen uns hier lieber nur an.
Wir ähneln uns in vielerlei Hinsicht. Wir haben die gleiche Größe, praktisch das gleiche Gewicht und den gleichen Körperbau. Obwohl er sehr dunkelbraunes Haar hat und so rabenschwarze Augen, daß sie einen blauen Glanz zu haben scheinen, hat man uns schon fälschlicherweise für Brüder gehalten.
Beide haben wir auch eine beträchtliche Sammlung von Surfschwellungen, und als Bobby sich nun gegen den Kühlschrank lehnte, rieb er geistesabwesend mit der Sohle eines nackten Fußes die Schwellungen auf der Oberfläche des anderen. Dabei handelt es sich um knotige Kalziumablagerungen, die vom ständigen Druck gegen das Surfbrett herrühren; man bekommt sie an den Zehen und auf dem Spann, wenn man aufrecht auf dem Brett sitzt und paddelt. Wir haben sie auch an den Knien, und Bobby hat sie zudem an den unteren Rippen.
Ich bin natürlich nicht gebräunt wie Bobby es ist. Er ist mehr als nur gebräunt. Er ist das ganze Jahr über ein maximalbrauner Sonnengott, und im Sommer ist er ein leicht verbrannter Toast. Er tanzt mit Melanomen Mambo und wird eines Tages vielleicht an derselben Sonne sterben, die er verehrt und die ich ablehne.
»Heute gab es draußen ein paar richtig irre Zipper«, sagte er. »Zwei Meter hoch, perfekte Form.« »Sieht jetzt ziemlich lahm aus.« »Ja. Hat gegen Sonnenuntergang nachgelassen.« Wir nuckelten an den Flaschen. Orson leckte sich glücklich die Lefzen.
»Also ist dein Dad gestorben«, sagte Bobby. Ich nickte. Sasha mußte ihn angerufen haben.
»Gut«, sagte er.
»Genau.«
Bobby ist nicht grausam oder gefühllos. Er meinte, es sei gut, daß mein Vater
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