Geschöpfe der Nacht
war, eine Ureinwohnerin Hawaiis, sondern eine Haole, die in Oskaloosa, Kansas, geboren wurde und dort gewohnt hatte, bis sie mit siebzehn Jahren ihr Elternhaus verlassen hatte, schien sie eine unwahrscheinliche Kandidatin für eine mythologische Über-Wahine zu sein.
»Es mangelt ihr an einigen Voraussetzungen«, sagte ich.
»Sie meint es todernst.«
»Na ja, sie ist auf jeden Fall hübsch genug, um Kaha Huna zu sein. Oder irgendeine andere Göttin, was das betrifft.«
Da ich neben Bobby stand, konnte ich seine Augen nicht allzugut sehen, aber sein Gesicht war düster. Ich hatte vorher nicht mal gewußt, daß er überhaupt ein düsteres Gesicht machen konnte.
»Sie denkt zur Zeit darüber nach, ob sie zölibatär leben muß, wenn sie Kaha Huna ist.«
»Autsch.«
»Sie ist der Ansicht, sie sollte lieber nicht mit einem ganz normalen Kerl zusammenleben, womit ein gewöhnlicher Sterblicher gemeint ist. Irgendwie wäre das eine blasphemische Zurückweisung ihres Schicksals.«
»Brutal«, sagte ich mitfühlend.
»Aber es wäre natürlich ganz cool, mit der derzeitigen Reinkarnation von Kahuna zusammenzuziehen.«
Kahuna ist der mythische Gott des Surfens. Er ist zum größten Teil eine Schöpfung moderner Surfer, die seine Legende vom Leben eines antiken hawaiianischen Hexendoktors extrapoliert haben.
»Und du bist nicht Kahunas Reinkarnation.«
»Ich weigere mich, es zu sein.«
Dieser Antwort entnahm ich, daß Pia ihn zu überzeugen versuchte, er sei in der Tat der Gott des Surfens.
»Sie ist so klug«, sagte Bobby mit deutlich hörbarem Elend und Verwirrung, »so talentiert.«
Pia hatte ihren Abschluß an der UCLA summa cum laude gemacht. Sie hatte sich das Studium mit dem Porträtmalen verdient; jetzt verkauften ihre hyperrealistischen Werke sich für beeindruckendes Geld, falls sie mal eins produzierte.
»Wie kann sie so klug und talentiert sein«, fragte Bobby, »und dann… das?«
»Vielleicht bist du ja Kahuna«, sagte ich.
»Das ist nicht komisch«, sagte er, was eine erstaunliche Aussage war, weil für Bobby bis zu einem gewissen Grad alles komisch ist.
Im Mondlicht ließ das Dünengras die Köpfe hängen, und kein einziger Halm zitterte in der jetzt völlig windstillen Nacht. Der weiche Rhythmus der Brandung, der sich vom Strand unter uns erhob, klang wie der gemurmelte Singsang einer fernen, betenden Menschenmenge.
Diese Sache mit Pia war faszinierend, aber ich interessierte mich verständlicherweise mehr für die Affen.
»Die letzten paar Jahre«, sagte Bobby, »mit diesem NewAge-Zeug von Pia… Na ja, manchmal ist es ganz okay, aber manchmal komme ich mir vor, als würde ich ganze Tage in extremem Churly-churly verbringen.«
Churly-churly ist eine stark aufgewühlte Brandung, voll mit Sand und Kies, die einem ins Gesicht klatscht, wenn man hineingerät. Keine angenehmen Bedingungen fürs Surfen.
»Wenn ich mit ihr telefoniere«, sagte Bobby, »bin ich manchmal so was von schlecht drauf, vermisse ich sie, will ich bei ihr sein… ich könnte mir fast einreden, daß sie Kaha Huna ist. Sie meint es so ernst. Und sie schwafelt auch nicht darüber. Sie ist ganz ruhig, aber felsenfest davon überzeugt, und das macht es noch verwirrender.«
»Ich wußte gar nicht, daß man dich verwirren kann.«
»Ich bislang auch nicht.« Er seufzte, scharrte mit einem nackten Fuß im Sand und stellte die Verbindung zwischen Pia und den Affen her: »Als ich den Affen am Fenster zum erstenmal sah, war es cool, mußte ich lachen. Ich dachte, er sei irgendein Haustier, daß seinem Besitzer ausgerissen ist… aber beim zweitenmal sah ich mehr als nur einen. Und das war genauso unheimlich wie dieser Kaha-Huna-Scheiß, denn sie benahmen sich ganz und gar nicht wie Affen.«
»Was meinst du?«
»Affen sind verspielt, trödeln herum. Diese Tiere… sie waren alles andere als verspielt. Zielstrebige, ernste, unheimliche kleine Widerlinge. Sie beobachteten mich und studierten das Haus, nicht aus Neugier, sondern mit irgendeiner Absicht, einem Auftrag…«
»Was für eine Absicht?«
Bobby zuckte die Achseln. »Sie waren so seltsam…«
Er schien das richtige Wort nicht zu finden, also borgte ich mir eins von H. P. Lovecraft, dessen Geschichten wir mit dreizehn Jahren begeistert gelesen hatten: »Schauerlich.«
»Ja. Schauerlich. Absolut unheimlich. Ich wußte, niemand würde mir glauben. Ich hatte fast den Eindruck, ich würde halluzinieren. Ich schnappte mir eine Kamera, bekam aber kein Foto von ihnen. Weißt du,
Weitere Kostenlose Bücher