Geschöpfe der Nacht
Schale eines abgelebten und toten Jahres. Gefangen darin war, was einmal ein menschliches Wesen gewesen sein mochte, aber jetzt war es verloren und begraben, nicht nur in den trockenen und raschelnden Jahren und Jahren seiner Überkörper, sondern in seinem eigenen Glauben, daß es so monströs sei, wie diese Überkörper es machten. Und in diesem Glauben hatte es die Welt hier konstruiert, wo alles nach innen zum Zentrum preßte, und dieses Zentrum war angefüllt mit zerbrochenen Dingen und hohlen Menschen.
Er sah, daß er dieses Monstrum töten sollte – nicht allein in Selbstverteidigung, sondern um es von dieser Existenz zu erlösen, von der es sich einredete, sie sei keine Qual, sondern eine dunkle Freude.
Er blickte umher und fand nichts als einen großen Stein; als er ihn aufhob, zerbröckelte der Stein in seinen Händen zu Staub.
»Siehst du?« krächzte der in seinen ungezählten Jahren Gefangene mit dem Rascheln seiner trockenen Überkörper, und die Stimme war wie das Gewisper der zerbrochenen Dinge und der hohlen Menschen. »Nichts hier hat die Macht, mich zu verletzen. Ich bin Satan.«
»Satan bedeutet mir nichts«, sagte Rafe, und die ganze Zeit hielt er nach einem anderen Stein Ausschau, nach einem abgebrochenen Stalaktiten oder einem rostigen Beil.
»Satan bedeutet jedem etwas!« raschelte die Stimme.
»Satan ist jenseits allen Schmerzes. Satan ist Tod in einem Leben, das niemals endet …«
Rafe fand eine alte Eisenlanze und gleich darauf eine Doppelaxt in der Höhle. Aber die Lanze zersplitterte, als er sie warf, und die Axt flog vom Stiel, als er sie schwang – flog vom Stiel und zerschellte an der felsigen Wand.
»Gib auf«, sagte das Wesen, das sich Satan nannte. »Gib auf.«
Gegen seinen Willen fühlte er seine Hoffnung schwinden, seinen Mut sinken. Verzweifelt suchte er etwas, an das er seine Hoffnung klammern, eine Vorstellung, die ihm Mut einflößen könnte, aber nichts kam.
»Komm und vereinige dich mit mir«, krächzte Satan. »Komm und lebe für immer den Tod im Leben. Alles Bemühen, alles Suchen ist nun nicht mehr nötig, nicht mehr …«
Und plötzlich war es da – das Vorstellungsbild eines soliden Messers mit lederbezogenem Heft und einer Klinge aus blauem Stahl – und es löste den Funken der Inspiration aus.
»Lukas!« rief er.
Satans Rascheln und Krächzen schwoll zu einem Brüllen an, zu einem Geräusch wie von einem Wirbelsturm, als er ihn zu übertönen suchte.
»Nein!« brüllte es, und schwarze Hoffnungslosigkeit , ergoß sich über Rafe, um ihn zu ertränken, bevor er noch einmal rufen konnte.
»Lukas!« schrie er verzweifelt. »LUKAS!«
Und Lukas kam.
Er kam nicht als sein gewöhnliches Selbst, sondern als ein riesiger, magerer Geisterwolf, größer als ein Elefant und fast so groß wie das Ungeheuer, das sich Satan nannte, überlaufen von winzigen blauen Flammen, die seine Gestalt in zuckendes Licht hüllten und seine gelben Augen erhellten. Er kam gesprungen und trug ein winzig aussehendes Messer mit schwarzem Ledergriff und einer Klinge aus blauem Stahl in seinem Maul.
»Gib mir das Messer, Lukas!«
Lukas kauerte nieder und heulte, und das Messer fiel vor Rafes Füße auf den Felsboden. Lukas heulte wieder, und dann sprang er auf und hüpfte mit wunderlichen Sätzen vor der Satanskreatur herum, die sich vor der gewölbten Wand aufrichtete, bis sie vornüber zu fallen und Mann und Wolf unter sich zu begraben drohte.
Und Rafe hob das Messer auf und warf es in das überhängende Satansding.
Es schrie.
Lukas packte Rafe mit seinem zähnestarrenden Rachen und hob ihn auf wie ein Hund eine Spielzeugmaus, und er sprang an Satans fallendem Körper vorbei aufwärts durch den massiven Fels, als ob er Nebel wäre. Höher und höher trug er ihn, aber dann entglitt Rafe seinen Kiefern und stürzte durch die Nebelfelsen ab.
Der Fels begann sich ringsum zu verfestigen, drängte von allen Seiten auf ihn ein und drohte das Leben aus seinem Körper zu quetschen, aber bei dem Gedanken, jetzt geschlagen zu sein, nach allem, was er getan hatte, kochte Wut in ihm auf. Mit übermenschlicher Anstrengung schlug er die Felsen von seinem Gesicht fort …
Und setzte sich aufrecht. Ein Raum war um ihn, und der Mond schien zum Fenster herein. Auf einem kleinen, weißlackierten Tischchen neben seinem Bett stand eine Metallschüssel, in der eine leere Injektionsspritze lag. Er packte die Schüssel und warf sie.
Sie zerbrach das Fenster und verschwand in der Nacht
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