Geschöpfe der Nacht
sagte Gabrielle zornig, »würden sich nicht wundern, wenn sie mit einem Messer in der Brust zusammenklappten!«
Martin steckte seinen Kopf in die kleine Passagierkabine und spähte besorgt zu Rafe. »Wie steht es?« fragte er.
»Es ist nicht weiter schlimm«, sagte Rafe. »Helfen Sie mir nach vorn in den Pilotensitz.«
»Sie bleiben da liegen!«
»Nein. Ich kann aufstehen, und ich werde es tun.« Rafe richtete sich auf und saß. Die Anstrengung trieb ihm Schweiß aus den Poren.
»Passen Sie auf! Sie werden wieder anfangen zu bluten …«
»Nein«, sagte Rafe. »Und die Wunde wird schneller heilen als irgendeine andere in der Geschichte der Medizin. Helfen Sie mir nach vorn, Martin – oder muß ich auf allen vieren hinkriechen?«
Martin öffnete den Mund und schloß ihn. Er kam näher, schob einen Arm unter Rafes Schultern und half ihm auf die Füße, steuerte ihn dann nach vorn zu einem der beiden Pilotensitze.
»Danke«, murmelte Rafe und überblickte die Instrumente. Dann hielt er Martins rechte Hand zurück, als sie den Autopiloten bedienen wollte.
»Vorsicht«, sagte er. »Ich mag verletzt sein, aber ich kann immer noch Ihre Finger brechen, Martin. Lassen Sie jetzt los.«
Martin ließ seine Hand sinken.
»Danke«, sagte Rafe. Er drückte den Rückspielknopf des Autopiloten und verlangte das Ziel, das programmiert gewesen war, bevor Martin angefangen hatte, ein neues zu programmieren. Die bereits auf dem kleinen Kontrollschirm sichtbare Zielkarte verschwand, und an ihrer Stelle sah er eine Karte von England, mit einem Punkt etwa siebzig Kilometer nordöstlich von London. »Ah«, sagte er. »Das ist der Ort, wo wir hingebracht werden sollten?«
»Es ist nur eine allgemeine Ortsbestimmung«, sagte Martin unglücklich. »Wenn die Maschine in die Nähe kommt, übernimmt die Landekontrolle.« Er seufzte. »Ich schwöre Ihnen, niemand dort, wo wir waren, weiß, wer an diesem Punkt wartet. Hätten wir es gewußt, so wäre es wahrscheinlich nicht nötig gewesen, Sie und Miß Leesing zu befragen.«
Rafe schaute verdutzt auf. »Wenn das so ist, warum wollten Sie uns dann hinschicken?«
»Wir hatten keine Wahl«, sagte Martin. »Ich sagte Ihnen, jemand oder etwas hat die Dinge hier auf Erden in die Hand genommen.«
»Dann rechneten Sie damit, daß Shaitan oder Thebom Shankar oder wer immer er ist, dort auf uns warten würde? Das führte zu der interessanten Frage, warum er diese Schatten aussandte, um uns alle umzubringen?«
Martins langes Gesicht schnitt eine hilflose Grimasse. »Ich weiß die Antwort so wenig wie Sie!« sagte er. »Vielleicht war er es nicht. Ich glaube nicht, daß er – wenn es nur eine Person ist – genau an diesem Punkt auf der Karte sein wird. Das wäre zu einfach. Und ich glaube, wir sollten getötet werden, weil jemand merkte, daß wir Informationen von Ihnen wollten, bevor wir Sie zu ihm weiterleiteten. Aber das sind nur meine Vermutungen. Ich weiß es nicht.«
»In ein paar Tagen, wenn es mir bessergeht, werden wir es herausbringen«, sagte Rafe.
»Wohin fliegen wir?« fragte Gabrielle.
»Zurück nach Nipigon, wo wir uns mit Lukas verbergen werden«, antwortete Rafe und zog die Maschine langsam auf Südostkurs, bis sie die Nachmittagssonne im Rücken hatten.
10
»Lukas?« rief Rafe. »Lukas?« Er streckte die Fühler seiner zweiten Bewußtseinsebene aus und fand den Wolf. Lukas leitete ihn zu den Wäldern des nördlichen Ontario, wo er am Ufer eines waldumstandenen Sees wartete. Die Gegend sah so einsam und unberührt aus, als sei sie selbst den Schwarzfußindianern, den Creeks und den Pelzjägern des neunzehnten Jahrhunderts entgangen. Die Maschine ging nieder und landete auf einer kleinen Lichtung nahe beim Ufer. Bis auf das schwache Licht der Sterne war es völlig dunkel, denn die Sonne war hier längst untergegangen, und der Mond noch nicht erschienen. Rafe sackte müde in sich zusammen.
»Kommen Sie«, sagte Gabrielle. »Sie können nicht draußen schlafen. Martin und ich haben hinten in der Kabine ein Lager für Sie gemacht. Sie müssen sich hinlegen.«
»Nicht nötig«, sagte Rafe, aber die Worte waren ein erschöpftes Gemurmel, und er wehrte sich nicht, als sie seinen Arm nahm und ihn mit sich zog. »Es ist gar nichts. Ich fühle mich nur müde. Und ich glaube, ich kann mich sehr schnell heilen …«
Er legte sich auf das behelfsmäßige Bett und zog eine Decke über sich, die nach Mottenpulver roch.
»Also schön«, murmelte er. »Aber morgen früh
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