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Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Petri
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Zusammenhänge besser durchschaut.
    Durch die »demografische Alterung«, wie man die zunehmende Lebenserwartung heute nennt, nimmt die Altersgruppe der über 6 0-jährigen Menschen ein immer breiteres Segment in der Bevölkerungspyramide ein. In diesem Segment gehören Geschwister in kleiner oder größerer Zahl noch zum selbstverständlichen Bestand jeder Familie, da diese mehrheitlich den Jahren des Babybooms der Nachkriegszeit entstammen. Diese Generation der heute alt gewordenen Kinder erlebt in den letzten Jahrzehnten, speziell in der westlichen Welt, eine bisher nie da gewesene Beschleunigung von gesellschaftlichen Umwälzungen.Unter dem Einfluss der Demokratiebewegungen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, von Wirtschaftswachstum, Bildungsreform, dem Ausbau sozialer Sicherungssysteme, dem rapiden Fortschritt technologischer Entwicklungen und nicht zuletzt den dramatischen Neuerungen der global vernetzten Medienwelt hat ein beispielloser Wertewandel auf nahezu allen Gebieten des öffentlichen Lebens stattgefunden.
    Es ist hier nicht der Ort, die einzelnen Facetten dieser sogenannten Postmoderne auszuleuchten. Aber man muss diesen Hintergrund bei der Frage im Auge behalten, welchen Einfluss die genannten Entwicklungen auf den Wandel der Geschwisterbeziehungen im höheren Alter ausüben mögen. Wie wir gesehen haben, beginnen unterschiedliche biografische Lebensentwürfe zwischen Geschwistern bereits in der Pubertät, dann nämlich, wenn sich aus den vielen Gemeinsamkeiten der Kindheit die speziellen Begabungen und Interessen jedes Einzelnen deutlicher herausschälen. Dieser Prozess setzt sich zur Lebensmitte hin weiter fort, wobei die Berufsplanung und -gestaltung und der Umgang mit Partnerschaft und Kinderfrage die wesentlichen Kernbereiche der verschiedenen Lebensgestaltungen bilden.
    Die Art und das Ausmaß der Abweichungen zwischen den Geschwistern sagen grundsätzlich noch wenig über die gefühlsmäßige Qualität ihrer Beziehung aus. So können deutliche Unterschiede in den Lebenskonzepten mit einer engen Bindung, und gleiche oder ähnliche Entwicklungen mit starken persönlichen Differenzen gekoppelt sein. Die Variabilität der Charaktere in Kombination mit der Variabilität der Lebensbedingungen ist zu umfangreich, als dass man hierbei einfache Korrelationen erwarten könnte.
    Was also, so wäre zu fragen, unterscheidet die Entwicklungen im höheren Alter von früheren Phasen so nachhaltig, dass es zu neuerlichen Wandlungen, ob im positiven oder negativenSinne, von Geschwisterbeziehungen kommen kann? Die geläufigen Erklärungen der zahllosen Ratgeberbücher für ein glückliches Alter zielen auf die höhere Lebenserwartung und stabilere Gesundheit in großen Teilen dieser Bevölkerungsgruppe sowie auf deren relativen Wohlstand. Durch ihn kann man sich Freiheiten erkaufen, die früher undenkbar waren. Darauf basiert in besonderer Weise die kontinuierliche Ausweitung der Gesundheits- und Tourismusindustrie. Auf die Geschwisterbeziehung kann sich dieser Trend nur positiv auswirken, da er, gleiche finanzielle Möglichkeiten, Gesundheit und Mobilität vorausgesetzt, viele Freiräume für gemeinsame Unternehmungen und Interessen eröffnet.
    Dieser Erklärungsansatz erscheint, gemessen an breiten Alltagserfahrungen, durchaus zutreffend, reicht aber nach meiner Einschätzung nicht weit genug. Wenn man heute privat oder in Beratungen und Therapien mit älteren Menschen über ihre zeitbezogene Befindlichkeit spricht, so ist man immer wieder überrascht, wie tiefe Spuren die Zeitbrüche, in denen wir uns befinden, im Denken und Fühlen bei vielen von ihnen eingegraben haben. Darin mischen sich die Anerkennung und Freude über die eben zitierten Umwälzungen einer fortgeschrittenen Zivilgesellschaft mit den Ängsten und Sorgen über deren Schattenseiten. Neben dem Bewusstsein über das unermessliche Geschenk vieler Jahrzehnte des Friedens in Europa und neben den enormen Freiheitsgraden, alternativen Lebensmustern und liberalen Wertordnungen, die unsere Gesellschaft für die einen Bürger bereithält, steht die Erkenntnis zunehmender sozialer Ungerechtigkeit durch Arbeitslosigkeit und drohende Armut, besonders Altersarmut, für die anderen. Aus globaler Perspektive bedeutet unser Wohlstand, unsere Konsumorientiertheit, unser ausufernder Hedonismus und Individualismus unter den Kennzeichen eines entfesselten Kapitalismus Kriege, Vertreibung, Hunger und Tod in anderen Teilen der Welt.
    Ganz anders als in früheren

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