Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit
in diesem Geiste sei heute Sicherheit zu gewinnen.
Dorothee Kimmich hat die so lange gerade von der christlichen Kirche missverstandene und verketzerte Lehre Epikurs in ihrem Buch Epikureische Aufklärungen eine »Philosophie der Angstbewältigung und der Selbstsicherung« genannt. 82 Epikurs Tetrapharmakos , die vier Lebensregeln, von denen er erwartete, dass jeder seiner Anhänger sie ständig im Kopf haben solle, zeigt, dass auch er ähnlich wie Paulus an der zitierten Stelle der Korintherbriefe den Weg des Vertrauens, der Selbstbescheidung und der Gelassenheit wählt: »Vor Gott braucht man sich nicht zu fürchten; dem Tod soll man nicht mit argwöhnischer Angst gegenüberstehen; das Gute ist leicht zu beschaffen, das Schlimme jedoch leicht zu ertragen.« Auch das ist, wie Dorothee Kimmich zeigt , aufklärerischer Geist, freilich ein anderer als der, der sich über Descartes und
Francis Bacon bis in unsere Tage als Macht- und Kontrollwahn geltend gemacht hat. Kern dieser aufgeklärten Weltsicht ist die weise Akzeptanz der condition humaine, die Einsicht, dass wir immer mehr Fragen als Antworten haben werden, dass wir uns mit der Endlichkeit unseres Daseins abfinden müssen und eben darum aus unserem Leben, so lange oder so kurz es dauert, das Beste machen sollten.
Das Beste aus seinem Leben machen, das kann vielleicht am ehesten gelingen, wenn wir uns wieder stärker auf unsere (Mit-)Menschlichkeit besinnen, wenn wir uns selbst und unsere Mitmenschen mit jenem heilenden Humor betrachten, der die dogmatischen Wahrheitsbesitzer entkrampft, die Streithähne besänftigt, die Verlierer tröstet und die Halbheiten und Widersprüche des Lebens lachend zu einem gelingendem Ganzen zusammenfügt. Der protestantische Theologe Klaus-Peter Jörns hat in diesem Sinn von den notwendigen Abschieden von den traditionellen dogmatischen Glaubensvorstellungen gesprochen und die Figur Jesu als »Liebhaber des Lebens« in den Mittelpunkt seiner Theologie gestellt. 83 Klaas Huizing, Theologe und Schriftsteller, schließt hier an, ohne sich allerdings explizit auf Jörns zu beziehen. In seinem Buch Fürchte dich nicht – Die Kunst der Entängstigung zeigt er am Beispiel des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter, wie eine ästhetisch orientierte Theologie angstnehmend wirken kann: »Sie feiert und akzeptiert die Körperlichkeit in all ihren Facetten; sie setzt sich über den Ekel hinweg; sie liebt den Humor als Inszenierung einer Neuschöpfung und als Freude über einen guten Ausgang; sie erlebt die Liebe als Abwesenheit von Furcht und Angst.« 84 Wie eine solche von Huizing favorisierte erzählende Theologie noch mit dem alten lutherischen Konzept vereinbar ist, das Versagen unserer
Strategien der Sicherheit (securitas) durch die (Glaubens-) Gewissheit (certitudo) zu kompensieren, ist schwer zu erkennen. Aber sie könnte möglicherweise Religiosität heute wieder attraktiv machen; denn sie verlangt kein sacrificium rationis , kein trotziges credo quia absurdum, sondern nur die durchaus vernünftige Einsicht, dass, wo die Vernunft mit all ihren vernünftigen Erklärungen und Vorkehrungen an Grenzen stößt, nur noch zwei Dinge helfen: Liebe und Humor.
Es ist schon richtig, dass es nicht unbedingt ein Ausweis von überragender Intelligenz ist, wenn man die Grenzen der Vernunft nicht zu erkennen vermag. Aber dies heißt noch keineswegs, dass wir, wenn wir den Pfad moderner Rationalität verlassen würden, hoffen könnten, auf überlegene Quellen der Gewissheit zu stoßen, die uns Antworten auf jene Fragen liefern, vor denen die Vernunft versagt. Wer auf der Suche nach Gewissheiten in den Wassern vermeintlicher Offenbarung fischt, sollte wissen, dass er im Trüben fischt. Was Religiosität heute zu geben vermag, ist in der Tat nicht mehr jene Heils gewissheit , die Luther im Auge hatte, als er die certitudo der securitas entgegensetzte; Heilsgewissheit bleibt unerreichbar, weil alles, was zu den berühmten letzten Fragen zu sagen wäre, in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt ist. Aber eine die condition humaine akzeptierende Religiosität vermag uns eine moralische Gewissheit zu vermitteln, eine Art praktischer Unbekümmertheit und Lebenszuversicht, die aus der Einsicht fließt, dass wir uns als Menschen mit dem Menschenmöglichen abzufinden haben und am Ende nicht umsonst gelebt haben werden, wenn wir uns bemüht haben, zu tun, was uns richtig und wichtig erscheint.
Lebenszuversicht ist eine Haltung, eine
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