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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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Doucerie. Wer etwas auf sich hielt, leistete sich Tietjenfrottee. Bald konnte Justus fünf neue Arbeiter einstellen, dann zehn, schließlich, gegen Ende des Jahres 1909, waren es sechzig Menschen, die an den Maschinen und aufgereihten Tischen des neuen Fabrikbaus saßen.
    Nebenan wurde das Wohnhaus von Justus Tietjen und seiner Frau immer prunkvoller – vor allem dank Eleonores Eifer. Erst Leinen, dann Satin, dann flatterte Seide vor den Fenstern. Ein Grammophon wurde angeschafft, obwohl niemand im Haus die Angewohnheit hatte, Musik zu hören. Es verstaubte, aber es war da. Überall lagen Pariser Modemagazine und Kataloge von Sotheby’s herum. Jedes Jahr, kurz vor Pfingsten, wurden die allerneuesten Badezimmermoden aus ganz Europa bestellt und die Badewanne durch eine neue, noch elegantere ersetzt. Man speiste ausschließlich, nicht bloß sonntags, von Tellern mit Goldrand. Eleonore bestellte täglich frische Blumengestecke beim teuersten Floristen im ganzen Ruhrgebiet. Sogar die Aussicht schien weiter zu werden, als richte sich der Hang unter all der Verschwendung auf. Ein Springbrunnen wurde gebaut, dessen Wasser bald nicht mehr in ein einfaches Bassin sprudelte, sondern einen aus hellem Marmor gemeißelten künstlichen Wasserfall hinunterfloss. Unten spielte ihr Sohn Karl Schiffeversenken. Das war 1913 und Eleonore war gerade zum zweiten Mal schwanger geworden.
    Justus Tietjen hatte ein gutes Gespür. Er wusste, dass sich die Mode ändern würde, dass man nicht ewig auf Paris, Müßiggang und Luxus setzen konnte, und er handelte vorausschauend. Als im Folgejahr der österreichische Thronfolger einem Attentat zum Opfer fiel und die Militaristen sich in Bewegung setzten, war Justus vorbereitet. Sein neues Erfolgsrezept lautete: Je härter die Welt, desto dringlicher der Wunsch nach weichen Stoffen. Wenn der Mensch fiel, musste er aufgefangen werden. Wenn das Leben hart wurde, musste man ihm etwas entgegensetzen. Der Mensch sehnte sich nach Weichheit, im Krieg mehr noch als im Frieden. Justus Tietjen war gewappnet.
    Die maschinellen Webstühle, in denen die Schlaufen seit nunmehr fünf Jahren weicher und weicher gezogen wurden, ließ er anhalten und die Arbeiter für die Länge einer Gedenkminute von den Automaten zurücktreten. Durch eine neu installierte Lautsprecheranlage verkündete Justus Tietjen den Krieg. Er verkündete ihn mit all seinen Gefahren, seiner Gier und vergaß auch nicht die Details des Gemetzels auszumalen. Deshalb, so erklärte Justus mit seiner monotonen Stimme, müssten auch sie, die Mitarbeiter der Firma J. Tietjen, ihren Teil, wenn nicht zum Sieg, so doch zum Heil des Vaterlandes beitragen. Dass er an einem Sieg nicht im Geringsten zweifle, fügte er hinzu, aber auch ein Sieg könne bisweilen rauh gefüttert sein.
    Die Maschinen surrten wieder an, die Webrahmen klappten ineinander, die Schiffchen schipperten von links nach rechts, beschleunigten, klapperten, zischten, beschleunigten, und das hysterische Fiepen der Fabrikation offenbarte, dass das kurze Innehalten während der Gedenkminute nichts anderes als ein Atemholen gewesen war, um sich daraufhin mit ganzer Kraft in die neue Aufgabe zu stürzen.
    Justus Tietjen war als einziger Unternehmer auf die Idee gekommen, Frotteeprodukte zur Rüstungsindustrie zu zählen. Er sicherte sich einen Exklusivvertrag mit dem kaiserlichen Heer, das ihn in Form eines rötlichen, nach Mottenkugeln riechenden Schnurrbartzwerges empfing. Der erste Vertragsentwurf sah vor, dass Offiziere vom Brigadegeneral aufwärts während des Fronturlaubs in Tietjenfrottee zu wickeln seien. In zähen Verhandlungen setzte Justus Tietjen durch, dass auch an der Front jeder Offizier mit einem Tietjenhandtuch ausgestattet werde. An einem gewaltigen Schreibtisch aus Kirschholz wurde das Abkommen unterzeichnet. Justus Tietjen lehnte sich nach vorne, eine Feder in der Hand, bemerkte dabei, dass der Schreibtisch so groß nun auch wieder nicht war, vielmehr der Mensch dahinter wirklich klein, und setzte seinen Namen auf das kaiserliche Papier.
    Justus hatte geahnt, dass der Einsatz des Tietjenfrottees beim Stellungskrieg den Ausschlag für noch größeren Erfolg geben würde. Und er hatte recht behalten. Durch diesen Schachzug stieg die Popularität des Tietjenfrottees ins Unermessliche. Jeder wollte eine Tietjengarnitur (Badetuch, Handtuch, Gästehandtuch, Waschlappen) in seinem Badezimmer hängen haben. Der Vertrag wurde nochmals erneuert und das Frottee auch an Unteroffiziere

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