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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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leisten, konnte seinen Tag nicht sinnvoll einteilen, konnte nicht denken, nicht leben, konnte kein sittlicher Mensch sein. Das aber war die Voraussetzung jeglicher Arbeit in einer Handtuchfabrik. Ein Produkt, das für Körperhygiene stand, konnte nicht von unhygienischen Menschen hergestellt werden. Der Hausmeister und seine Frau sollten das Unheil im Innern aufspüren, an der Quelle.
    Eines Nachmittags in seinem Büro, an dem nicht viel zu tun war, kamen Justus Tietjen Zweifel: Ob der Hausmeister vertrauenswürdig und ob dessen Frau gründlich genug war? Hatten sie dieselben Ansprüche an Reinheit wie er? Er sah Fettspuren um den Herd, roch den Gestank schmutziger Wäsche, ungelüfteter Räume, und auf dem Boden, unter dem Sofa, lag eine benutzte Windel. All die fäkale Fäulnis kroch allmorgendlich mit den Arbeitern in die Fabrik, blieb an Handtüchern und Waschlappen haften, in die sein Name, Tietjen, eingestickt war.
    So begann er an den Nachmittagen, an denen er keine Termine hatte, selber nachzusehen. Der Chauffeur riss sich unterwürfig die Mütze vom Kopf, als er Justus Tietjen die Tür aufhielt. Er werde gleich zurück sein, erklärte Justus. Und das war er auch. Er erledigte, was er zu erledigen hatte, eilig und exakt: Er brachte Ordnung in die Menschen, die er besaß. Zu dieser Tageszeit waren viele der Wohnungen unbelebt, die Männer arbeiteten, einige Frauen auch, und die Kinder waren in der nahe gelegenen Schule, die Justus mit großzügigen Spenden versah.
    Im Erdgeschoss lagen kostenlos Zeitungen aus. Justus hatte dafür gesorgt, dass jeden Morgen ein Stapel frischer Nachrichten in seine Häuser geliefert wurde. Die Arbeiter mussten auf dem Laufenden sein, sie mussten lesen, denn lesen bildete, und Justus wünschte gebildete Arbeiter in seinem Betrieb. Andere als die ausgelegten Blätter waren im Haus nicht erlaubt. Was wusste ein Arbeiter schon, welche Zeitung für ihn die richtige war.
    Das Treppenhaus roch nach billigem Putzmittel, und Justus stieg die Stufen hinauf. Er stieg langsam, denn er wusste, dass selbst die Zeit hier drinnen ihm gehörte. Die Frauen, die zu Hause waren, ahnten nichts. Sie ordneten Wäsche. Sie bereiteten das Abendessen vor. Sie sahen aus dem Fenster und dachten, wie gut sie es hatten. Anderes zu denken hätte Justus Tietjen nicht erlaubt.
    Erst als sie hörten, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte, wussten sie, dass es nicht der Hausmeister war, dessen Schritte sie im Treppenhaus gehört hatten. Erschrocken schaute Elsbeth/Anna/Käthe zur Wohnungstür: Wer konnte das sein? Die Ehemänner kamen niemals um diese Uhrzeit nach Hause, die Arbeitszeiten der Fabrik mussten genau eingehalten werden. Justus Tietjen betrat den Raum, ein Mensch, den sie nur aus der Ferne, aus Erzählungen gekannt hatten. Nie hätten sie damit gerechnet, ihm einmal leibhaftig zu begegnen.
    Justus ließ sich von den Frauen die gewienerte Küche zeigen, das gescheuerte Bad, die ordentlich in der Vitrine aufgereihten Kristallgläser (vier Stück, klägliches Erbe), die gemachten Betten, die hart gefalteten Bezüge, die glänzenden Fensterscheiben. Er vergewisserte sich, dass alles in Ordnung war. Die Frauen boten ihm Kaffee an oder Likör, er lehnte ab. Nein, nein, er wolle sich hier nicht bereichern, sagte er und lachte. Die Frauen lachten verunsichert mit. Er wollte ihnen Gutes tun, wollte ihnen zeigen, dass sie für ihn wichtig waren. Er klopfte ihnen auf die Schulter, er tätschelte ihnen das Kinn, er legte seine Hand um ihre Hüften. Das Haar fiel aus dem Nacken, wenn sich der Kopf zu weit nach hinten bog. Die Strümpfe waren sauber, ebenso die Wäsche. Justus Tietjen nahm sich, was ihm zustand. Sie fürchteten ihn nicht. Furcht hätte sie aggressiv gemacht oder hysterisch. Vor Justus Tietjen hatten sie nur Angst.
     
    Der Versuch, in New York Fuß zu fassen, eine Tietjenfiliale in jener fernen Metropole zu eröffnen, um der Firma neue Größe zu verleihen, war Anfang der vierziger Jahre zum ersten Mal gescheitert. Anfangs hatte alles vielversprechend ausgesehen: Die Konkurrenz war gesichtet, die ersten Produkte dem amerikanischen Markt angepasst worden und das Spektrum der Frotteefarben um California Sun und Indian Summer erweitert. Amerika hatte Deutschland den Krieg erklärt, und drei New Yorker Warenhäuser hatten ihr Interesse an ausgewählten Tietjenprodukten bekundet. Justus Tietjen schickte seine beiden Söhne. Er wusste, dass Kurt mehr Ehrgeiz besaß, und so ließ er ihn als Karls

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