Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
verteilt. Nach den ersten Niederlagen gegen Deutschland trafen sogar aus Frankreich Bestellungen ein, die Justus, aus patriotischen Gefühlen, zunächst unbeantwortet ließ, dann aber mit einem Preisaufschlag von 300 Prozent entgegennahm. Er war ein Kosmopolit und würde es selbst in Kriegszeiten bleiben.
In den Hallen schnurrten die Garne durch die Maschinen, Justus stellte im Wochentakt neue Arbeiter ein, die Kaskade im Garten plätscherte, der ältere Sohn spielte Schiffeversenken, der jüngere schrie in der Wiege, und alles war, so fand Justus, in bester Ordnung. Noch.
War der Krieg bisher ein Glücksfall für Justus Tietjen, so wusste er, dass er ihm irgendwann doch gefährlich werden konnte. Die Lieferung der nötigen Garne verzögerte sich immer häufiger, und zudem würde sein älterer Sohn bald das kriegstaugliche Alter erreichen. Justus zählte auf seinen Ältesten – nicht, weil er ihn für besonders begabt hielt, sondern weil er seine beiden Söhne zu Rivalen erziehen wollte. Er wollte, dass sie einander die Erfolge neideten, um sich so gegenseitig anzustacheln. Nur mit Konkurrenz kam man voran. Zudem war der Kleine noch zu zart, Scharlach, Masern, Windpocken, all das musste erst überstanden werden. Für Justus Tietjen waren zwei Söhne nicht Geschwister, sondern einer in Reserve.
Obwohl er die meiste Zeit in der Firma verbrachte, war Justus durchaus nicht entgangen, dass seine Frau sich hinter einer Wand aus Rosengeruch verbarrikadiert hatte, sie zu müde war, um seine Kalkulationen zu kommentieren und nur noch gelangweilt in den Frotteemustern blätterte, die überall herumlagen. Die Eheleute Tietjen wurden einander immer fremder, doch Justus war zufrieden mit ihrer Existenz. Sie hatten zwei Kinder, ein opulentes Wohnhaus und die Firma Tietjen in die Welt gesetzt, und das war mehr, als andere Paare verband. Man musste nicht auch noch miteinander reden. So viel zu reden, das wusste Justus, gab es überhaupt nicht. Wenn sie sich zufällig in einem der Wohnräume über den Weg liefen, grüßten sie sich höflich, wie Menschen, die viel voneinander halten, doch lieber nichts miteinander zu tun haben wollen.
Justus Tietjen hatte nie die Blicke seiner Arbeiter verstanden. Am unheimlichsten waren ihm die Truppen, die jeden Morgen bleigrau aus dem Dunst der Vorstädte auftauchten, den Straßenbahnen entstiegen, das Fabriktor durchschritten und sich ihre Anwesenheit von der Stechuhr bescheinigen ließen. Große runde nackte Schädel, Gesichter, die er kaum auseinanderhalten konnte. Eine Armee, zuverlässig wie die Schiffchen, die im Webautomaten hin und her klackten. Was, wenn sie sich einmal gegen ihn richten würde?
Darüber dachte er bisweilen an den freien Abenden nach, wenn er am Hang stand und sein Areal überblickte. In der Ferne rauchten Fabrikschornsteine, rasselten Zechen, wurden aus Wollballen Waschlappen und Handtücher hergestellt.
Er ging einige Schritte den Hang hinunter. Neben einem Zaun aus Rosen hatte der Gärtner ein kleines Feld angelegt, in dem kümmerlich und grün vereinzelte Erdbeeren wuchsen, perfekt geordnet, damit sie niemals über die Beete hinauswucherten. So, dachte Justus, müsste man es auch mit den Arbeitern handhaben, unter denen in letzter Zeit einige Aufwiegler mit sozialistischen Reden Unruhe stifteten. Justus schleppte sich wieder den Hang hinauf und wälzte dabei eine Idee hin und her, die ihm gerade gekommen war.
Am nächsten Tag teilte er seinem Prokuristen mit, er werde ein Haus, zwei Häuser, eine ganze Häuserzeile kaufen. Er wolle für seine Arbeiter Wohnungen schaffen.
Man erwarb einen schmalen Straßenzug unweit des Tietjen’schen Anwesens. Zehn Häuser für jeweils sechs Parteien. Da meist mehr als nur ein Familienmitglied bei Tietjen und Söhne arbeitete, machte das rund einhundert Angestellte, die Justus nun auch nach Dienstschluss in seiner Reichweite hatte.
Die Häuser waren Justus’ Eigentum, sie enthielten Möbel, die ihm gehörten, und die Logik der Regel besagte, dass auch die Menschen darin Teil seines Besitzes waren. Zu jeder Wohnung hatte er einen Schlüssel, und er benutzte ihn auch, schließlich musste er darauf achten, dass sein Eigentum pfleglich behandelt wurde. Er tat es, weil es für alle das Beste war. Zunächst hatte er einen Hausmeister engagiert, der zusammen mit seiner Ehefrau regelmäßig die Wohnungen prüfte. Hygiene und Ordnung waren das A und O, wer nicht sauber und nicht ordentlich war, konnte auch keine gute Arbeit
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