Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
etwas, das niemand beherrschen konnte, war wie der Zufall etwas, wovon sich die Tietjens seit je fernzuhalten versuchten.
In diesem Jahr sei sie zum ersten Mal nach Europa geflogen, erzählte Fanny. Sie habe vorgehabt zu bleiben. Sie hatte genug gehabt von den Staaten, von einer Stadt wie New York, in der man jede Minute seines Tages verkaufen musste, um die Krankenkasse zu bezahlen, dabei durfte man ohnehin nicht krank werden, sonst war man seinen Job los. Sie habe sich bei deutschen Firmen vorgestellt, doch keiner wollte sie einstellen. Sie hatte nicht die richtigen Qualifikationen und auch nicht das richtige Visum. Sie war zurückgekehrt, weil sie lieber überarbeitet sein wollte, als von unzähligen Vorschriften blockiert in einer Warteschleife zu verkommen. Zurück in ihrem Leben zwischen Redhook und Grand Street, hatte sie gespürt, wie sie in dieser Stadt langsam das Gefühl für Größenverhältnisse verlor. Sie hatte es bis dahin ausgehalten, weil sie geglaubt hatte, dass New York für sie nur eine Zwischenstation war. Aber nach ihrer Rückkehr aus Deutschland war aus dem Provisorium ein Dauerzustand geworden.
Zwei Tage lang hatte es geregnet. Die Gäste im Café waren jeden Tag die gleichen. Sie saßen auf alten Kirchenbänken und tranken Chai-Latte, die Scheiben waren von der Heizungsluft beschlagen. All das habe sie schließlich beruhigt, sagte Fanny.
X
Ich rede nicht von Bestechung, sagte Werner. Wir brauchen es nicht Bestechung zu nennen. Bezirzen, Umgarnen, wir können ja nichts daran ändern, dass wir eine Wirkung auf andere Menschen haben.
Nein, sagte Luise, daran können wir nichts ändern.
Menschen sind nun mal beeinflussbar, sagte Werner, sie werden sich immer auf die eine oder andere Seite ziehen lassen, und warum also nicht auf unsere? Ich weiß genau, was Benraths vorhaben und was Schermerhorn plant, sicher keine Heldentaten, so viel ist sicher.
Es gab nur ein Restaurant, in das man gehen konnte, und auch in dieses Restaurant konnte man nur an bestimmten Tagen gehen, da sonst die falschen Leute an den Nebentischen saßen, und es musste Luises Onkel viel Mühe gekostet haben, nicht nur den Politiker zu bekommen, sondern zudem den richtigen Tag.
Ich habe solche Mühen auf mich genommen, jetzt kannst du dich nicht querstellen, Luise, warnte Werner sie, und so ging Luise in ebenjenes Lokal, um bei einem Abendessen (Pappardelle, Wildgulasch, Brunello) mit jenem Abgeordneten zu sprechen, der zu jung war, um auf Werner zu hören, der aber, wie Werner betonte, um das Tietjen’sche Halbschlingenverfahren wissen musste, das sie vor allem deshalb entwickelt hatten, um staatliche Subventionen einzustreichen. Wir brauchen das Geld, Luise, wir brauchen es dringend, sagte Werner. Ohne die Zuschüsse sieht es im nächsten Jahr düster für uns aus.
Dass es ihn freue, sie an diesem Abend zu treffen, versicherte ihr der Abgeordnete Lennart Wenzel, der bislang eine eher mittelmäßige politische Karriere hingelegt hatte. Wenzel war noch keine vierzig und gab sich betont lässig. Er taxierte Luise, nicht herablassend, aber desinteressiert, sie war lediglich ein Abendtermin von vielen. Während der Kellner das Essen brachte, erzählte Luise von der Firma, von dem neuen Verfahren, das den Tietjenfrottee zu einem der umweltfreundlichsten Produkte auf dem Markt machte, Wenzel sah immer wieder auf das Display seines Telefons. Zuerst meinte sie, es sei ein Tick, dann aber wurde ihr klar, dass es nur Gewohnheit war. Das Telefon machte ihn unnahbar. Er musste Luise demonstrieren, wie beschäftigt er war, er schielte nach dem Display, und er gefiel ihr dabei. Er gefiel ihr deswegen. Der Kellner stolzierte in arroganter Höflichkeit vorbei, schenkte Wein nach. Luise dachte nicht mehr an das Halbschlingenverfahren, sie wollte nicht von der Firma sprechen, sie wollte, dass Wenzel ihr zuhörte, ohne die Pistole auf der Brust zu spüren, sie wollte, dass er ihr zuhörte, ohne gezwungen zu sein.
Es hat auch Vorteile, unterschätzt zu werden, Herr Wenzel, erklärte sie. Die Leute sagen mir mehr, als sie eigentlich wollen. Warten Sie nur ab, das wird Ihnen auch so gehen.
Wenzel lachte, sprach bald nicht mehr vom Haushaltsausschuss, sondern erzählte Witze und kleine Anekdoten, schielte immer seltener nach dem Handydisplay, und Luise dachte einen Moment lang, sie könnte aus dem engen Radius ausbrechen, der von Krays und der Firma um sie herumgezogen worden war.
Wir hätten uns früher kennenlernen sollen,
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