Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
Vom Netzwerk:
sagte sie, ihr Fuß stieß wie zufällig gegen seinen, er zog ihn zurück, sie lachte, lachte ein wenig zu laut, blickte ihm in die Augen, er hielt ihrem Blick stand, zeigte ihr, wie souverän er war.
    Frau Tietjen, nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Sie wollten mit mir über Ihre Firma sprechen.
    Er machte eine Pause. Luise wartete, dass er etwas hinzufügte, aber er fügte nichts hinzu. Sie blickte zur Seite, suchte den Raum nach einem Ausweg ab, aber es gab hier nichts als eine Empfehlung vom Gault Millau und Rotwein ab 49 Euro die Flasche.
    Der Kellner kam herbeigeeilt, erkundigte sich nach ihrem Wohlergehen, empfahl ihnen ein Dessert. Luise merkte, wie ihr Tischherr ihr aus den Fingern glitt. Wenzel blickte wieder auf sein Handy, Luise nippte am Rotwein, ließ den Blick durch den Raum schweifen, an den meisten Tischen waren Pärchen plaziert. Wie hatte sie die Situation nur missverstehen können, sie war hier nicht bei einem Rendezvous, sondern bei einem Geschäftstermin.
    Das Halbschlingenverfahren ist für die ökologische Modernisierung der Frotteebranche, hob Luise wieder an, Wenzel unterbrach sie, einen Moment, Frau Tietjen, lehnte sich vor, sein Gesicht war ins Licht der Kerze getaucht, er tippte eine Nachricht, murmelte, Verzeihung, das ist wichtig. Am Nebentisch streichelte ein Kahlköpfiger das Handgelenk seiner jungen Begleiterin, und Luise dachte, sie hätte vielleicht ein wenig mehr wie ihre Mutter sein müssen, die so geschickt im Schatten ihres Mannes stand.
    Eine Viertelstunde später sah sie Lennart Wenzel nach, obwohl es nicht viel zu sehen gab, nur ein Taxi fuhr davon.
     
    Dass sie nicht ohne Grund mit Wenzel verabredet gewesen sei, sagte Werner und durchschritt mit seinen schweren Schritten das Büro. Luise saß wie eine Praktikantin auf dem Besucherstuhl und bekam das Ruder nicht mehr zu fassen, Werner schlug es wild hin und her und hielt es von ihr fern.
    Dass ihnen die Subventionen so gut wie sicher gewesen seien, erklärte er und sprach von den Errungenschaften der Firma Tietjen, der hohen Qualität amerikanischer Baumwolle, dem Einsatz regenerativer Energien, vom Halbschlingenverfahren, das die Firma Tietjen nutzte, ein Verfahren der Zukunft!, rief Werner. Und du, du hast kein Wort davon erwähnt?
    Doch, erwähnt schon, sagte Luise leise. Sie wollte ausweichen, sah zur Tür, doch die Tür war unerreichbar, hier kam sie nicht raus. Sie fühlte sich klein, so klein, wie sie es auch war, fünfundzwanzig, was erwartete er von ihr? Es hatte ihr nie jemand beigebracht, an Subventionen, Halbschlingen und das Verfahren der Zukunft zu glauben.
    Natürlich wurde in den Hallen der Firma kein Verfahren der Zukunft angewandt. Der größte Teil der Produktion war längst nach Fernost ausgelagert, die Arbeiter in Essen packten lediglich die riesigen Kartons aus, die vom Logistikunternehmen Wendler angeliefert wurden. Anschließend bestickten Näherinnen die Handtücher mit Etiketten, auf denen Tietjen Deluxe stand. Wunder waren das nicht, aber in welchen Hallen passierten schon Wunder.
    Immerhin benutzten die Tietjens texanische Baumwolle von Chuck Degger und unterstützten somit die amerikanische und nicht die zentralafrikanische Wirtschaft, in der alles Geld, wie Werner sagte, für lethargische Beamte und verrostete Kalaschnikows draufging. Die Firma Tietjen arbeitete regenerativ, das von ihnen entwickelte Halbschlingenprinzip böte, so Werner, eine schonende Herstellung und brächte, verglichen mit anderen Herstellungsverfahren, eine höhere Oberflächenstruktur bei niedrigerem Wollverbrauch. Dass in Ostasien, wo die Herstellung zu großen Teilen ablief, sicherlich noch niemand von einem Halbschlingenprinzip gehört hatte, erwähnte Werner nicht.
    Wann hat zum letzten Mal jemand die Fabriken dort besucht?, fragte Luise.
    Werner blieb kurz vor seinem Schreibtisch stehen, stützte seine Hände auf der Platte ab, schaute Luise direkt in die Augen. Sie roch seinen Pfefferminzatem, beißend von all den Pastillen, die er vor jeder Sitzung hysterisch in sich hineinschüttete, um kurz darauf die Ruhe selbst zu sein. Sie sah seine blassblauen Augen, die mit einem Mal zu lachen begannen. Er lachte, alles an ihm lachte, die einhundertsechs Kilo Werner Kettler lachten sie aus. Luise hätte doch überhaupt keinen Überblick, wo was und wie produziert wurde, sagte er, und überdies, man kann sich nicht alle Trümpfe aus der Hand nehmen lassen, da spielt es auch keine Rolle, wie diese Trümpfe im Einzelnen

Weitere Kostenlose Bücher