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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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käme, erkundigte sie sich.
    Weshalb Deutschland?, fragte Kurt.
    Der Brief sei von dort geschickt worden, erklärte Fanny.
    Deutschland, murmelte er, ich glaube, ich war noch nie da.
     
    Das stechende Klingelgeräusch hörte er wieder. Und wieder. Und wieder. An jedem der folgenden Wochenenden trafen sie sich, wenn Kurt auch nie wusste, wann Fanny bei ihm vor der Tür stehen würde. Manchmal sahen sie sich auch unter der Woche. Sie klingelte bei ihm, er kaufte den Wein und das Essen. Wenn er zurückkam, saß sie in eine Decke gewickelt auf seiner Couch, und während sie mit den Stäbchen winzige Mengen Pekingente aus der Pappschachtel pickte, erzählte sie ihm von ihrem Leben.
    Mit Fanny Weidmann war die Unvorhersehbarkeit in sein Leben gekommen, und das Zufällige widersprach allem, was er gewohnt war. Etwas musste notwendig sein, schon lange bestanden haben, dachte Kurt. Vielleicht fürchtete er nur, sie könne ebenso schnell und grundlos wieder verschwinden, wie sie in sein Leben gekommen war. Einen Moment lang hielt sie inne, betrachtete ihn ruhig.
    Das war Fanny Weidmann: Sie hatte einige Jahre in einem Finanzunternehmen in der Pine Street gearbeitet, in einem Glasbüro, in dem jede Ermüdung von den Kollegen notiert und gemeldet wurde. Ihr Vorgesetzter stolzierte auf stämmigen Cowboybeinen durch die Gänge und entließ im Wochenturnus die Angestellten, die nicht den gläsernen Wänden und der Geschwindigkeit des Unternehmens standhielten, die nicht um drei Uhr morgens das Telefon beantworteten und nicht am Sonntag den Familienausflug abbrachen, um ins Büro zu kommen, er entließ, bis er selbst entlassen wurde, und dann kam ein weiterer überspannter Yale-Absolvent, der in jeder freien Minute zum Wasserspender lief, als fürchte er, in seinem Eifer zu vertrocknen. Er entließ ebenso unerbittlich, einige Monate später wurde auch er entlassen und sein Vorgesetzter ebenfalls, nur Fanny blieb, sie wusste selbst nicht, weshalb.
    Sie hatte aufgehört zu schlafen, sie bettete das Telefon neben sich auf das Kopfkissen, wenn sie sich spätabends hinlegte, um in einen leichten Dämmer zu fallen. Und dann, eines Nachts, schlief sie ein, sie schlief und schlief, schlief immer fester und weiter, und selbst als sie nach zwanzig Stunden wieder zu sich kam, konnte sie sich nicht erheben. Sie lag da, und alles, was sich in ihrer Reichweite befand, war das Telefon, auf dem drei neue Nachrichten aus der Firma blinkten. In der ersten wurde sie von einer freundlichen Sekretärin um den Ordner Prop. Co – Fe gebeten, in der zweiten forderte eine gereizte Kollegin sie auf, das Dokument Coh aus dem Ordner Prop. Co – Fe umgehend per Kurier zu schicken, wenn sie schon nicht selbst vorbeikommen könne. In der dritten Nachricht teilte ihr neuer Vorgesetzter ihr in getragenem Tonfall mit, dass dies ein schwerer Tag für die Firma sei. Fanny solle zu ihm ins Büro kommen, aber es habe keine Eile, nein, sagte die getragene Stimme ihres Vorgesetzten, jetzt habe nichts mehr Eile. Die dritte Nachricht beantwortete sie und bat in einhundertsechzig Zeichen um ihre sofortige Entlassung.
    Nach drei Jahren, die sie in einem gut bezahlten Wachkoma verbracht hatte, trat sie an jenem Nachmittag zum ersten Mal wieder ausgeruht auf die Straße. Die Umgebung platzte unerwartet grell vor ihr auf. Sie wusste nicht mehr, wie man mit dieser Stadt zurechtkam, New York kam ihr zu groß, zu schnell, zu sprunghaft vor.
    Sie fand einen Job in einem Café in der Grand Street, Ecke Havemeyer (Kurt Tietjen wusste nicht, wer Havemeyer war). Durch das Fenster blickte sie auf ein Geschäft, das Reliquien der Stadt verkaufte, abgefallene Straßenschilder, alte Lampen, Bilder, Nummernschilder, Apparaturen aus Metall, von denen niemand mehr sagen konnte, zu was sie einmal zu gebrauchen gewesen waren. Die Mülleimer waren angekettet, neben der Ampel stand ein Plastikcontainer mit Gratiszeitungen und schräg gegenüber eine Backsteinkirche, die wie eine schmale, muffige Turnhalle aussah. An der Wand des Cafés hing eine Weltkarte, und Fanny betrachtete all die Länder, in denen sie noch nie gewesen war. Abgesehen von New Jersey und einem Teil von Pennsylvania, durch den sie an einem verregneten Tag gefahren war, erinnerte sie sich an keinerlei Welterkundungen.
    Die zweite Flasche stand geöffnet zwischen ihnen, zwei Weinflecken dunkelten auf dem Stoff, nichts hatte ordentlich zu sein, vielleicht konnte es das auch gar nicht neben ihr. Fanny Weidmann war wie der Zufall

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