Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
zielstrebig, wie sie geworden war. Sie lief ihrem Hotel entgegen, um den Akku ihres Telefons aufzuladen, ehe das Display erlosch.
Kurt war einfach stehen geblieben, ein Läufer, der auf einer zu langen Strecke hinter der Konkurrenz zurückblieb. Sie hatte einen Blick zurückgeworfen, ohne anzuhalten. Kurt hatte gut zehn Schritte hinter ihr verharrt, regte sich nicht, sah ihr nur nach, und sie stieß mit einem jungen Mann zusammen, dessen Unterlagen auf den Gehsteig fielen. Luise bückte sich, um ihm beim Aufsammeln zu helfen, ehe die Blätter vom Verkehr mitgerissen wurden.
Als Luise sich wieder aufrichtete und hinter sich sah, war Kurt verschwunden. So kind of you , hörte sie den jungen Mann sagen, bevor er davoneilte, und sie blickte sich auf der Straße um, aber nirgendwo konnte sie ihren Vater entdecken. Sie zog ihr Telefon hervor, das Display leuchtete kurz auf und färbte sich dann schwarz. Schnell ging sie die letzten Schritte bis zum Hotel, sie hörte noch den stummen Lärm von der Straße, während sich die Glastür hinter ihr schloss. Im Foyer plätscherten ein künstlicher Wasserfall und ein Klavierstück, Chopin vielleicht, sie kannte sich mit Musik nicht aus. Erst jetzt dachte sie an Kurts Worte. Er hätte all dies nicht beabsichtigt. Er sei einfach nicht die richtige Person gewesen, um an der Stelle zu stehen, an der er gestanden habe, in der Geschäftsführung, als Leiter eines Unternehmens. Nein, er habe die Rolle nie füllen können, sagte er. Und es ist euch allen klar gewesen, und ihr habt trotzdem nichts getan.
XIII
Die U-Bahn fuhr nicht bis nach Redhook. Kurt ging den Rest des Weges zu Fuß, sah zu Boden, was ratsam war auf den unebenen Bürgersteigen Brooklyns. Vielleicht, dachte er, hätte er damals, nach dem Zusammenbruch seines Vaters, aussteigen sollen.
Ihm kam das Bild des Obdachlosen in den Sinn, den er im letzten Jahr, bei dem ersten Besuch seiner Tochter, vor einem Grocery gesehen hatte. Was mochte mit ihm geschehen sein? Hatte die Stadtreinigung ihn beseitigt? Oder war doch das Leben in ihn zurückgekehrt? Auferstanden, dachte Kurt, und dann? Er hätte sich weitergeschleppt, durch die Straße, durch den Tag, durch die Minusgrade der Nacht, aus einem Subwayeingang vertrieben, aus dem Eingangsbereich einer Bank, und fände schließlich in einer guten Wohngegend einen Vorgartenzaun, an den er sich lehnte und aufgab.
Der Hausflur roch nach Fett, Seife und dem klebrigen Inneren des Müllschachtes. Aus dem Keller hörte Kurt den Waschautomaten rumpeln. Langsam stieg er die Treppe hinauf, schloss die Tür auf, ließ den Schlüssel in die Schale auf der Garderobe fallen, die Fanny dorthin gestellt hatte. Es wirkte, als gehöre er in diese Wohnung. Er verhielt sich unauffällig in ihr, wenn er auch spürte, dass er hier noch immer ein Fremdkörper war. Er war nutzlos geworden, das zumindest hatte er erreicht. Ob es tatsächlich das war, was er sich wünschte, wusste er nicht mehr zu sagen, aber er hatte es erreicht, immerhin.
Fanny war es gewesen, die gesagt hatte, Kurt müsse etwas mit seiner Zeit anfangen. Sie fragte nicht, wovon er lebte. Sie meinte nicht, er müsse Geld verdienen, aber sie sah, wie er sich abnutzte. Er wurde hager, zugleich seltsam verfettet im Gesicht, eine groteske Mischung zweier unterschiedlicher Menschen.
Dabei tat er doch etwas: Er ging spazieren, hin und wieder mit seiner Tochter, meistens allein. Er wachte auf, und kaum wurde ihm der erdrückend leere Tag bewusst, stand er auf, wusch sich, zog sich an und verließ, ohne etwas zu essen, das Haus. Er ging die Straßen hinauf oder hinunter, achtete nie auf die Richtung, sah die Häuser nicht, nicht die Menschen, lief, bis er vor Entkräftung zu zittern begann. Dann suchte er ein Café oder einen Schnellimbiss und aß etwas.
Er hörte, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde, Fannys weiche Schritte (Turnschuhe, zehn Jahre alte Nikes) näherten sich durch den Flur. Ihr Gesicht wie alle Tage. Während sie auf ihn zukam, steckte sie den Zweitschlüssel, den Kurt ihr gegeben hatte, in die Tasche ihrer Jeans, ein Zeichen seines Vertrauens, hatte er gedacht, dabei misstraute er wohl eher sich und brauchte Fanny, damit sie nach ihm sah.
Sie setzte sich zu ihm, legte ihren Kopf an seine Schulter, er aber rückte von ihr ab, selbst sie, die nichts wog, war ihm zu schwer. Fanny wusste nicht, dass er sich mit seiner Tochter getroffen hatte, sie musste annehmen, dass er heute, wie an allen Tagen, durch die Stadt
Weitere Kostenlose Bücher