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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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heruntergewirtschaftet hatte, dass er zu feige gewesen war.
    Ich habe nie etwas verlangt, sagte Kurt. Ihr Handgelenk in seiner Hand, die Tür vier Schritte entfernt, Fanny hielt sich so reglos, als wolle sie hier verharren, lange, bis alles vorüber war. Er sah auf das kleine Gesicht Fannys, das sich kurz anspannte, als spüre sie den Schmerz in ihrem Handgelenk, ihr Puls pochte gegen seine Finger und er begriff: Sie würde sich ihm nicht widersetzen. Menschen waren von ihm abhängig, ganz gleich, was er tat, ganz gleich, wie weit er sich von seinem Vermögen entfernte. Er löste seinen Griff. Es würde geschehen, wie er es verlangte. So war es immer gewesen.
     
    Um ihn herum liefen Jogger, von einer Seite der Brücke zur anderen rannten sie, ließen ihre Füße ein paarmal auf der Stelle gegen den Asphalt schlagen, schüttelten ihre Gliedmaßen, ohne aus dem Takt ihres Laufs zu kommen, und eilten weiter, schnell, immer schneller, hin und her zwischen den beiden Teilen der Stadt. Sollte einmal Ruhe einkehren, flöge alles auseinander.
    Kurt Tietjen stand auf dem höchsten Punkt der Brooklyn Bridge. Es war ein heller, fast noch herbstlicher Dezembertag. Fanny war seit ihrem Streit nicht mehr zu ihm gekommen. Er hatte einige Tage gewartet, dann war er hinüber zu ihrer Wohnung gegangen, hatte geklingelt, gewartet, wieder geklingelt, er hatte Schritte hinter der Tür gehört, aber sie hatte ihm nicht geöffnet. Am nächsten Tag hatte er eine Nachricht von ihr in seinem Briefkasten gefunden. Sie werde erst mit ihm sprechen, wenn er zur Besinnung gekommen sei. Denk drüber nach. Deine F.
    Radfahrer fuhren an Kurt vorbei, hoben sich aus dem Sattel, um kräftiger in die Pedale zu treten. Wer war schon Fanny? Er war ja nicht abhängig von ihr.
    Er ging allein die Brücke hinab, weiter durch die Straßen. Vor einer Stunde hatte er einen Brief eingeworfen. Nein, es war kein richtiger Brief, nur einige Zeilen an seine Tochter. Sie solle kommen. Sie habe zu kommen. Bald. Dringend. Es mochte klingen, als bestelle er sie wie schon so oft zu sich, doch es war anders, er bestellte sie nicht mehr, er lockte sie an. Er wollte sie zur Vernunft bringen, notfalls zur Vernunft zwingen. Vielleicht wollte er sich einfach nur rächen. Er hatte versucht, seine kaufmännischen Niederlagen aus seinem Gedächtnis zu streichen, doch seine Tochter breitete sie vor ihm aus. Sie leitete die Firma bestimmt und mit leichter Hand und führte ihm damit das ganze Ausmaß seines Versagens vor Augen. Und nun war auch noch eingetreten, womit er nie gerechnet hätte: Seine Tochter hatte ihm jeglichen Einfluss entzogen.
    Ein halbes Jahr lang hatte Kurt Luises Nachrichten unbeantwortet gelassen, sie musste annehmen, er sei endgültig verschollen. In Wahrheit war er ihr näher gewesen denn je, hatte hinter ihr gestanden, ihr über die Schulter geblickt, ihre Wege in der Firma verfolgt. Vorsichtig hatte er sich mit Wessner als Mittelsmann an Bentsch, Serner und Rehlein herangetastet, auch zu Kiesbert hatte er Kontakt aufnehmen und in Erfahrung bringen lassen, ob einer von ihnen bereit war, ihm Unterlagen aus der Verwaltung zukommen zu lassen. Die drei Eisheiligen hatten sich erstaunlich schnell kooperativ gezeigt, so als hätten sie nur darauf gewartet, ihrem Missmut über Luise Luft zu machen. Kiesbert hatte zunächst gezögert, doch Kurt hatte nicht lockergelassen. Bekam er auch über Bentsch, Serner und Rehlein genügend Material, so war nun sein Ehrgeiz geweckt, er wollte auch den letzten Widerstand brechen, den es in der Firma gegen ihn gab. Nach dem fünften Anruf hatte Kiesbert nachgegeben und sich bereit erklärt, ihm Kopien von Korrespondenzen zukommen zu lassen.
    In seinem Arbeitszimmer sortierte Kurt, was die vier ihm nach und nach schickten, Briefwechsel mit deutschen und amerikanischen Kaufhausketten, Entwürfe von Werbekampagnen, die zu groß für die Firma Tietjen waren, und immer wieder gefälschte Zahlen. Er meinte zu sehen, wie sich in Luises Handlungen all das fortsetzte, was er an seinem Vater und an seinem Großvater, vielleicht sogar an sich selbst verabscheut hatte, eine Mischung aus Verlogenheit, List und der Überzeugung, trotzdem auf der richtigen Seite zu stehen.
    Kurz hatte er bereits mit Wessner darüber telefoniert. Die Unterlagen, die Kurt von Kiesbert bekommen habe, seien mustergültig. Ein mustergültiger Betrug, so Wessner am Telefon, er hatte euphorisch geklungen. Man müsse nur an den Zahlen kratzen, und schon käme das Rot

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