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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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unter der schwarzen Farbe zum Vorschein. Manchmal dachte Kurt, dass es vielleicht doch besser sei, alles zu ignorieren, was in Essen vor sich ging, aber es gelang ihm nicht mehr.
    Die Letzte, der er vertraut hatte, war Fanny gewesen, aber offenbar hatte er sich auch in ihr geirrt. Sie hielt nicht zu ihm, wenn es darauf ankam. Er hatte sie aufgelesen, war ihr gefolgt, hatte sie stundenlang von sich erzählen lassen, aber zuletzt hatte sie ihn ausgefragt: Wohin er ginge, wann er zurückkäme, sie hatte ihn bewacht. Er war von seinem alten Leben weggelaufen und wieder dort angekommen, wo er hergekommen war. Fanny war nichts als eine ungeschickte Carola-Kopie. Er war in ein Labyrinth geraten, in eine dumme Verwechslung. Es war gut, dass Fanny für ihn verschwunden war.
    Einige Male hatte er sie noch gesehen, wenn sie morgens das Haus verließ und abends wieder heimkam, meist allein, einmal in Begleitung, ein Schatten neben ihr, größer als sie, mehr hatte Kurt nicht erkannt, es war bereits dunkel gewesen.
    Eine Woche später hatte er eine Umzugsfirma beauftragt, die Dinge aus seiner Wohnung in Redhook abzuholen. Im letzten Moment hatte er sich anders entschieden, hatte die Männer, die bereits im Treppenhaus gestanden hatten, angewiesen, alles stehen zu lassen, was sollte er mit dem Plunder. Nur einen Karton und einen Koffer hatte er mitgenommen und sich in dem fast leeren Transporter zu seiner neuen Wohnung fahren lassen. Auf der Straße hatte er die Männer ausbezahlt, jeder von ihnen so kräftig, dass er Kurt mit einem einzigen Stoß bewusstlos schlagen konnte. Sie hatten trotzdem nach seiner Pfeife getanzt. Er hatte Lust gehabt, ihnen weniger Geld zu geben, als sie vereinbart hatten, sie für ihre Hörigkeit zu bestrafen. Bei einem wie Kurt Tietjen hätten sie sich nicht gewehrt, bei einem, der von Redhook nach Brownsville zog, hingegen schon.
     
    Kurt lief die Stufen zum Metrogang hinab, weicher, träger Gestank umschloss ihn. Auf der Zwischenebene spielte eine Reggae-Band. Er erreichte den dunklen Schlauch des U-Bahnhofs, die Bänke rochen nach frischem Desinfektionsmittel, und er konnte die Richtungen nicht auseinanderhalten. Bushwick? Nostrand? Seine Spaziergänge waren schon seit langem ziellos gewesen, aber seitdem er aus Redhook weggezogen war, kam ihm oft auch die Orientierung abhanden. Er fühlte, wie er verlorenging, mitten in New York.
    Kurt hatte noch nie jemanden die Telefonapparate benutzen sehen, die an den Bahnsteigpfosten montiert waren. Früher wurden Geschäfte an diesen Apparaten abgewickelt, irgendwann in den Achtzigern, und so lange hing der Apparat hier schon, zwischen den Gleisen des L-Trains an der Station Union Square. Geschäfte. Kleine Drogendeals, Hausverkäufe, ein Unternehmen wurde von einem anderen geschluckt. Es fühlte sich gut an, als er den Hörer anhob. Schwer. Für die großen Hände großer Menschen in einem großen Land. Die Aufschrift coins , kurz und klar und tief in das Metall eingraviert.
    Fanny hob nicht ab. Das Signal ihres Anrufbeantworters ertönte. Kurt schwieg, eine Nachricht von einigen Sekunden Schweigen, und dann, als er sah, wie sein Guthaben weniger wurde, 50 Cent, 40 Cent, 30 Cent, stotterte er hastig einige Sätze in den Apparat, seine neue Adresse, sie solle ihn doch besuchen, er warte auf sie, er vermisse sie, es täte ihm leid. Das meiste davon hatte er gegen das Tuten im Hörer angesprochen, die Münzen waren bereits durchgefallen.
    Ein wenig benommen stieg er in die Subway. Stand clear of the closing doors. Er ließ sich auf einen Sitz zwischen einer jungen Frau im Trainingsanzug und einem älteren Herrn im Seemannskostüm sinken. Die Bahn rüttelte durch den Untergrund. Irgendwo wechselte er die Linie, achtete nicht auf die Station, fuhr so Stunde um Stunde unter der Stadt entlang, wusste nicht mehr, wohin mit sich.
    Er war damals, nach dem letzten Abendessen mit W.W., nicht in der Obdachlosenkolonie verlorengegangen. Ihm war übel geworden, er hatte sich gegen die Betonwand gestemmt, um nicht zu fallen, und dann hatte er gemerkt, dass nicht er es war, der fiel, sondern dass sich jemand an ihm festhielt, an seinem Ärmel, und zu Boden sank. Aus dem Mund sickerte Wein oder Speichel oder Blut. Es ließ sich nicht erkennen, das Licht war zu schwach. Die Hand löste den Griff, gab seinen Ärmel frei. Kurt war über den Körper hinweggestolpert, verwirrt, benommen, war hinausgelaufen, raus aus der Unterführung. Oben hatte er das Licht, die frische Luft

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