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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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gierig eingeatmet, ein Taxi fuhr vorbei, besetzt, im Fond saßen zwei Frauen in Abendgarderobe, müde und bleich. Ein weiteres Taxi kam, er winkte es heran, ließ sich auf das Leder sinken, er wollte nach Hause, er wollte einfach nur zurück. Der Mann fuhr los, es war keine weite Strecke, und Kurt sah schon die Lichter der Hofeinfahrt, zahlte und stieg aus.
    Er war in sein Wohnviertel zurückgekehrt, immer war er zurückgekehrt, er hatte es nie anders gekonnt, dachte Kurt, während er in der New Yorker Subway saß und den Stadtplan studierte. Er hatte es nie lange durchgehalten, seinem Platz fernzubleiben, und vielleicht machte er sich etwas vor, vielleicht würde auch sein New Yorker Aufenthalt in einer Lufthansamaschine Richtung Düsseldorf enden, später als gewöhnlich, doch unabänderlich wie stets.
    An der Station Bowling Green verließ er die Metrogänge, die kühle Luft auf der Straße erfrischte ihn. Links die Dreieinigkeitskirche, rechts die Wall Street. Ein Mann mit Sammelbüchse rief den Vorbeilaufenden Feed the homeless zu, eine Baritonstimme. Es war lächerlich, dachte Kurt und ging schneller. Wer konnte schon jedem etwas geben, wer hatte schon die Zeit dazu.
    Links Starbucks, rechts Men’s Wearhouse. Der Zuccotti-Platz überfüllt, eine träge Gruppe zwischen den eiligen Fußgängern auf den Gehwegen. Er hatte sie in den Nachrichten gesehen, die Menschen mit ihren beschmierten Pappschildern, ein Stück Karton aus dem Müll. Kurt blieb stehen, betrachtete die Leute. Sie saßen auf den Steinstreben, standen um einzelne Redner herum, ein Mädchen las Zeitung, ein Touristenpaar machte Fotos. Die Stimmen verschwammen zu einem einzigen schrillen Ton, Kurt roch den Wind, der von der Bucht heraufwehte, herbe, feuchte Luft.
    Zögerlich drang er in die Gruppe ein, bewegte sich am Rand der Demonstration, er fiel nicht auf, hier fiel er nicht auf. Ein Mann mit Wollmütze grüßte ihn, Ey man, join us , grinste ihm zu. Die Frauen waren jung, einige von ihnen jünger als Fanny, so jung wie seine Tochter. Kurt ließ sich tiefer hineintreiben, lief durch die ungeordneten Menschenreihen, einige saßen auf Planen und Isoliermatten, andere standen. Er fühlte sich wohl, beinahe glücklich. Kurz kam ihm Fanny in den Sinn. Er stellte sich vor, wie sie ohne ihn durch die Stadt ging, vielleicht schon an der Seite eines anderen, sollte sie doch, er brauchte Fanny nicht.
    Zwei Sicherheitsmänner bewachten den Eingang eines Bürohauses, stoisch standen sie da, ihr kantiges Kinn vorgestreckt, alles an ihnen war trainiert. Kurt blieb neben ihnen stehen, musterte sie. Ein Mann in einer Windjacke näherte sich ihnen, und plötzlich hatte er eine Kamera in der Hand. Die beiden Sicherheitsmänner starrten ihn an, Bewegung kam in ihre reglosen Körper, panisch drängten sie ihn weg, wehrten die Kamera ab, stießen mit ihren Ellbogen um sich, die Kamera weg, die Kamera weg! Kurt wurde zurückgeworfen, ein Schlag, der Geruch teuren Textils, er stolperte, aber fiel nicht, Put the camera away! Don’t you hear me?
    Kurz war alles schwarz, dann sprangen die Farben wieder an, ungefiltert, durcheinandergeraten, er konnte die Formen nicht mehr auseinanderhalten. Alles war zu hell und dann wieder schummrig. Er taumelte. Leichte Übelkeit. Etwas hatte ihn am Kopf getroffen, er fürchtete, das Bewusstsein zu verlieren, auf den Fußweg zu fallen. Ihn fröstelte. In seinem Kopf lief Eis aus. Er bückte sich, vorsichtig, sofort wurde wieder alles schwarz.
    Ein Geschoss in der Größe eines Tennisballs hatte ihn an der Schläfe getroffen. Er wog es in der Hand, blickte auf. Die Menschen hatten sich zu einer Menge zusammengezogen, er konnte nicht sagen, ob einer von ihnen es geworfen hatte. Er fühlte Übelkeit in sich aufkommen, metallisch und scharf. Niemand beachtete ihn, niemand schien mitbekommen zu haben, dass etwas vorgefallen war. Kurt Tietjen stand am Rand der Demonstration, aber die Menschenmenge schloss sich nun wie eine Mauer vor ihm.
    Der Gegenstand in seiner Hand war schwerer, als er aussah, zylinderförmig, mit einem Gewinde versehen. War er beim Handgemenge mit den Sicherheitsmännern aus der Kamera herausgeschleudert worden? Die beiden Männer standen wieder reglos am Eingang, die Kamera war fort, sie hatten ihre Arbeit getan. Vor ihm die Demonstranten, worauf warteten sie, sie hielten immer noch ihre Pappschilder, braun und leer, ein bisschen Pappe, nicht mehr.
    Kurt entfernte sich mit vorsichtigen Schritten vom Zuccotti-Platz. Die

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