Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
Luise, merkst du das denn nicht?
Hör auf mit dem Unsinn.
Ich möchte nicht dabei zusehen, wie du dich zugrunde richtest.
Woher willst du wissen, wann ich mich zugrunde richte, Krays?
Kannst du mich nicht einmal beim Vornamen nennen?
Sie lachte, es tat ihr leid, aber sie kam nicht dagegen an. Die Tage wuchsen ihr über den Kopf, und sie musste wenigstens Krays an ihrer Seite halten. Er strich ihr über die Schulter, Luise, Luise, er schüttelte leicht den Kopf. Seine Hand tastete über die Knopfleiste ihrer Bluse, umfasste ihre Brust, er küsste sie auf den Mund, vorsichtig, ein Kinderkuss. Sie hätte ihn erwidern müssen. Sie hätte seinen Kopf an sich ziehen, ihren Mund öffnen müssen, seine Zähne mit ihrer Zunge abtasten. Sie hatte hart dabei zu atmen. Doch es gelang ihr nicht. Sie musste sich überwinden. Luise zog seinen Kopf an sich, öffnete ihren Mund, fuhr mit der Zunge seine Zähne entlang. Krays’ Speichel schmeckte fade. Sie fühlte sich wie in Plastik eingeschweißt, es fiel ihr schwer zu atmen. Sie stieß ihn von sich, er sah sie irritiert an.
Du wolltest etwas mit mir besprechen, deshalb bist du doch hier, sagte sie.
Das ist jetzt nicht dein Ernst.
Natürlich ist es das. Ich höre.
Krays wandte sich kurz von ihr ab, ordnete seine Kleidung, zog seinen Schlips zurecht. Wir sitzen hier nur noch zwischen Kulissen, Luise, auf ein paar roten Zahlen, die wir schwarz anmalen. Das wird rauskommen, über kurz oder lang. Diese Woche wäre es fast so weit gewesen. Bei Bloomingdale’s bist du zu weit gegangen, das ist, nach der Rechtslage, die ich kenne –
Es gibt keine Rechtslage, unterbrach Luise ihn. Es gibt nur den besseren Anwalt.
Das ist kein Spiel, Luise.
Ich habe nie gespielt. Wir sind auf dem richtigen Weg, Krays, das weißt du, wir haben in den letzten zehn Monaten mehr Erfolge erzielt als Werner und Kurt in den letzten zehn Jahren. Willst du jetzt alles hinwerfen? Wir müssen vorübergehend unser Kapital aufstocken, sonst kommen wir nicht auf die nächste Stufe. Und da müssen wir hin, wenn wir in den nächsten zwei Jahren nicht dichtmachen wollen. Es geht doch hier nicht um Betrug, es geht darum, dass wir es fast geschafft haben.
Du hättest wenigstens mich ins Vertrauen ziehen können, Luise. Aber du hast lieber von deinem Papa gelernt, fein hast du das gemacht.
Krays setzte sich wieder, sie blickte auf sein jugendliches Gesicht, auf die weich geschwungenen Lippen, gleich würde er zu lachen beginnen, dachte Luise, er lehnte sich zurück, legte einen Arm über die Lehne des Stuhls, eine Lässigkeit, die sich nur für die Hausherrin schickte, gleich würde er beginnen zu lachen, dachte sie, aber Krays lachte nicht.
Du kennst meinen Vater doch überhaupt nicht, sagte sie.
Und du, du kennst ihn so gut?
Mir wäre es lieb, wenn du dich aus meinen Familienangelegenheiten heraushalten würdest. Ich weiß, was ich dir zu verdanken habe, Krays, aber denk bloß nicht, dass du dir deswegen alles herausnehmen kannst. Habe ich mich klar ausgedrückt?
Luise, ich glaube nicht, dass es hier um mich geht.
Sie zog die Augenbrauen hoch, wollte zynisch aussehen, doch es gelang ihr nicht.
Du träumst die Firma doch nur. Du träumst, dass es immer weitergeht, aber es geht nicht mehr weiter. Schon lange nicht mehr.
Luise wollte etwas entgegnen, aber sie hielt inne. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, über die Bildergalerie, Heinemann, Schmidt, JFK, kein Bild von ihrem Vater, kein Bild von ihr. Heinemann blickte zur Seite, Schmidt überreichte ein Dokument.
Wir sind längst über die Katastrophe hinausgezogen, sagte Krays, aber das heißt nicht, dass wir sie überstanden haben. Und ich habe keine Lust mehr, Luise.
Sie erhob sich und trat ans Fenster. In der Ferne die Weststadttürme, unter ihnen ein Streifen erschöpftes Grün, ein paar kümmerliche Blüten waren dazwischengeraten. Tu, was du nicht lassen kannst, Krays. Es interessiert mich nicht mehr. Sie wandte sich zu ihm um. Im Übrigen wirst du damit nicht weit kommen, wir haben immer die besseren Anwälte gehabt.
XVII
Fünfzig Jahre seines Lebens hatten überwiegend aus Terminen bestanden, jetzt vergaß Kurt Tietjen oft sogar, welcher Tag es war. Allein wenn Luise in der Stadt war, alle zwei, drei Monate, bewegte er sich wieder linear, von einem Punkt zum anderen, zu einer bestimmten, vorab festgelegten Zeit. Eine verrostete Anzeigetafel zeigte 72° Fahrenheit an, daneben die Uhrzeit. Blaue Röhren zu Buchstaben
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