Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
weil ich Cara gekannt hatte oder weil ich mit ihr im Widerstand zusammengearbeitet hatte und sie nun tot war, sondern wegen des aufrichtigen Schmerzes, der sich in Tuckers Stimme bemerkbar machte. Er hatte nicht so gelitten, als er meine Mutter ermordet hatte, als er sie kaltblütig erschossen hatte. Als er der Feigling gewesen war. Was machte Cara für ihn so viel besser als meine Mutter? Was bereitete ihm nun Kummer? Warum konnte er jetzt Reue empfinden, damals aber nicht?
Und Billy. Wir hatten ihn allein bei Marco und Polo zurückgelassen, und jetzt war er verschwunden.
Ich ging durch das Gras, bis ich an einen Holzzaun gelangte, der im Mondschein silbern schimmerte, aber so gebrochen und zersplittert war, wie ich mich fühlte. Ich legte den Kopf in den Nacken und starrte zum Himmel empor, und da spürte ich, wie die Erschöpfung mich niederdrückte, mich schwächte und meine Knie zum Zittern brachte. Ich hatte beinahe vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen, aber ich hatte zu viel Angst, um die Augen zu schließen.
Meine Hände glitten in die tiefen Taschen des Uniformrocks, den Cara getragen hatte, und da ertastete ich sie. Die Kupferkugel, die sich in den wollenen Falten verfangen hatte. Die Kugel, die ich gefunden und ihr gezeigt hatte. Anscheinend hatte sie sie in die Tasche gesteckt und vergessen, als sie sich umgezogen hatte.
Ich hörte Chase kommen, noch ehe ich ihn sah. Die Art, wie seine Stiefelsohlen auf dem Gras abrollten, war mir vertraut. Diese zögernden Schritte, mit denen er sich zu nähern pflegte, wenn er fürchtete, ich könnte davonschießen wie ein Kaninchen. Ich ließ die Patrone los, konnte sie aber immer noch an meinem Bein spüren.
»Es ist nicht deine Schuld«, sagte er leise zu mir.
»Ich weiß.« Krampfhaft umklammerte ich den Zaun.
»Nein, das tust du nicht.«
Ich schlug so hart auf den Zaun, dass das morsche Holz brach. Meine Hand schmerzte, aber nun atmete ich ruhiger. Chase bedrängte mich nicht, blieb aber in der Nähe, wusste genau, welche Form des Trostes ich nun brauchte.
»Gehen wir«, sagte ich.
Wir kehrten zum Wagen zurück und fuhren nach Norden.
K APITEL
15
Abrupt kam ich in kalter Stille wieder zu Bewusstsein und wusste sofort, dass ich allein im Wagen war. Eine dunkle Ahnung beschlich mich. Die anderen steckten in Schwierigkeiten. Irgendetwas war passiert.
Der Gedanke trieb mich zur Tür hinaus, noch ehe ich ein weiteres Mal Atem holen konnte. Es war kalt, aber nicht kalt genug, dass die Pfützen auf dem Asphalt gefroren wären. Die Luft kühlte meine Hand, die nach dem Schlag auf den Zaun heiß und geschwollen war. Ich umklammerte meine Ellbogen und starrte, verärgert darüber, dass ich eingeschlafen war, in das dunkle Parkhaus. Die Morgendämmerung bahnte sich einen Weg durch die bleiernen Gewitterwolken am Himmel – ich musste mindestens drei Stunden weg gewesen sein.
Der gestohlene Streifenwagen stand neben einem mit einer Plane verhüllten Fahrzeug im Erdgeschoss des Parkhauses. Bedrohlich aussehende Teile von Bauteilen bildeten zusammen mit herabgestürzten Betonbrocken den zerklüfteten Rahmen um den offenen Bereich neben mir, an dem das natürliche Licht heller war. Berge von Kies blockierten die Aussicht, und der sanfte Wind deckte mich sogleich von Kopf bis Fuß mit Staub ein. Die Trümmer in den Nachrichten zu sehen war etwas ganz anderes, als leibhaftig mittendrin zu stehen. Plötzlich hatte ich den Eindruck, ich wäre im Maul einer riesigen Bestie erwacht; gleich würde sie mich mit ihren Betonzähnen zermalmen und in einem Stück hinunterschlingen.
Ein großes Metallschild lag gleich an der Ausfahrt auf dem Boden. Es war verbogen und zerkratzt, aber lesbar.
CHICAGO MIDWAY INTERNATIONAL AIRPORT .
»Chase«, rief ich. Keine Antwort. Panik setzte sich in meinem Nacken fest.
Dann tauchte Sean an der Ausfahrt auf. Er trug wieder Zivilkleidung, abgesehen von der Waffe, die in einem Halfter an seiner Hüfte baumelte, und in seinem Gesicht spiegelte sich angespannte Frustration wider. Er war Rebecca so nahe wie seit etlichen Wochen nicht, aber sie war immer noch unerreichbar für ihn.
»Gut, du bist wieder wach«, sagte er und folgte meinem Blick zu dem grauen Steinhaufen hinter ihm, der einmal ein Flughafengebäude gewesen war. »Marco hat gesagt, wir sollen hier warten, bis wir abgeholt werden, aber das ist ein Friedhof. Im wahrsten Sinne des Wortes«, fügte er hinzu.
Ich wusste, dass er nicht auf den Widerstand warten wollte. Mir ging es
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