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Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)

Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)

Titel: Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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herkommen.
    Niemand war mehr am Leben.
    Alle waren bei dem Erdbeben umgekommen oder was immer die Tunnel erschüttert hatte. Ich wusste nicht einmal, wie lange ich schon hier unten war.
    Nach einer Weile blieb ich still liegen, zu verängstigt, mich noch zu bewegen. Die Sekunden zogen dahin, eine nach der anderen. Ich versuchte, sie zu zählen, alles, wenn ich nur dieses blanke Entsetzen vertreiben konnte. Als ich bei hundert angelangt war, hielt ich inne, und plötzlich wurde mir klar, dass ich den Countdown zum Ende begonnen hatte.
    Hier würde ich sterben.
    Und ich würde mich nicht einmal von Chase verabschieden können.
    In meinen letzten Augenblicken versuchte ich festzuhalten, was ich nur konnte. Seine rauen, starken Finger, die in die meinen griffen. Seine Lippen, die sich spannten, um ärgerliche Worte zurückzuhalten. Oder die Art, wie seine Schultern herabhingen, wenn er zu lange nicht geschlafen hatte. Ich wusste genau, in welchem Winkel ich mein Kinn anheben musste, wenn ich ihn küssen wollte, und wie sich sein Lachen anhörte und wie er, ausgerechnet er, sich nach einem Albtraum ganz klein vorkommen konnte.
    Ich hatte all die Erinnerungen. Daran, wie er im Zeugnis der siebten Klasse nur die besten Noten hatte, oder an den Hausarrest, den er in der Sechsten nach einer Prügelei mit Jackson Pruitt kassiert hatte. Oder daran, wie gut er in seine und wie gut er in meine Familie gepasst hatte.
    Wenn ich tot wäre, wer würde sich dann noch daran erinnern, wer er wirklich war?
    Hör auf, ermahnte ich mich. Ich habe die Resozialisierung überstanden. Ich bin aus einer MM -Basis geflohen. Ich habe ein Feuer überlebt.
    Ich bin noch nicht tot.
    »Hilfe!«, flüsterte ich. Und dann wurde mein Flüstern lauter und lauter, und meine Hilferufe wurden zu seinem Namen. Zwanzigmal rief ich ihn. Dreißig. Und die ganze Zeit setzte ich die Angriffe auf das unverrückbare Brett fort.
    Meine Stimme wurde heiser. Meine Kehle brannte und schwoll mit jeder Sekunde weiter zu. Ich hätte meine Seele für etwas Wasser verkauft.
    Ich bin noch nicht tot.
    Ich sammelte jeden Fetzen Kraft, den ich in meinem Körper finden konnte. Rief alle Entschlossenheit herbei, die ich in mir hatte. Und ich drückte.
    Das Brett kippte über mir. Staub rieselte auf mein Gesicht herab. Ich hustete und kniff die Augen zu. Mein gesunder Arm hatte es geschafft, die Barriere fortzuschieben. Nun hatte ich genug Platz, um mein Knie zu Hilfe zu nehmen. Jeder Muskel in meinem Unterleib und meinem Rücken spannte sich. Flüsternde Schreie körperlicher Anstrengung kämpften sich durch meine zusammengebissenen Kiefer.
    Und dann hörte ich etwas.
    Ich hielt die Luft an und kämpfte gegen die plötzliche Benommenheit an.
    »…glaube, da unten ist jemand!«
    Ein Gefühl rasender Dringlichkeit überfiel mich, und als durch das Fenster, das ich geschaffen hatte, Licht hereindrang, fing ich an zu kämpfen wie ein Tier. Der einzige Gedanke, der noch in meinem Kopf präsent war, lautete, dass ich hier raus musste. Sofort.
    Noch ehe meine Retter das Brett ganz von mir weggeschafft hatten, glitt ich hinaus. Schwitzend und erschöpft starrte ich in das Gesicht eines grünäugigen Gespensts. Nein, kein Gespenst. Die makellose Haut war nur mit Betonstaub bedeckt.
    Nicht du, dachte ich. Jeder, aber nicht du.
    Tucker richtete eine Taschenlampe auf mein Gesicht. Auf das helle Licht war ich nicht vorbereitet, und so brannte es sich geradewegs in mein Hirn.
    »Hilf mir auf!« Meine Lippen bewegten sich, aber kein Ton kam heraus.
    »Sie lebt!«, brüllte jemand hinter ihm.
    Ich stemmte mich auf die Knie, kam zu schnell hoch und sah Sterne. Tucker ergriff meine Taille, um mich zu stützen.
    So wackelig meine Beine waren, sie konnten mein Gewicht noch tragen. Sie schienen keinen ernsten Schaden davongetragen zu haben, auch wenn die Quetschungen ganz um die Beine herumzuführen schienen und bis ins Mark schmerzten. Mein Handgelenk war eine andere Geschichte. Es war verdreht und zur Seite abgewinkelt, ein Anblick, bei dem ich mich beinahe übergeben hätte. Wäre es nicht so taub gewesen, dann hätte der Schmerz, dessen war ich sicher, mich bestimmt umgebracht.
    »Der Tisch hat dir das Leben gerettet«, sagte Tucker. »Klug von dir, darunterzukriechen.«
    Er wirkte sonderbar abwesend, ganz ähnlich wie Chase, wenn er zu lange mit seinen Gedanken allein gelassen wurde.
    Ich blickte zu der Stelle hinab, auf die er zeigte. Der Tisch aus dem Lagerraum war zur Seite geworfen worden.

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