Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
Hütte, erbaut aus locker zusammengeschnürten gelben Plastikplatten und zerbrochenen Holzpaletten. Im Gegensatz zu den Nachbarbehausungen maß diese ungefähr zwei Meter fünfzig an jeder Seite.
Sean zog die Plane vor dem Eingang weg und duckte sich hinein. Als er einige Sekunden später wieder herauskam, war seine Miene noch ernster als zuvor. Er nickte einmal.
Cara und ich traten schweigend ein, und unsere Augen fingen durch den Rauch, der einem kleinen Feuer in der Ecke entstieg, sogleich zu tränen an. Die Plastikwand dahinter hatte etwa die Dichte eines schmelzenden Schweizer Käses und war überall da, wo die Flammen sie erwischt hatten, von schwarzen Flecken gezeichnet. Eine alte Frau mit krausem Silberhaar, in Lumpen gehüllt, saß neben dem Feuer und röstete etwas, das aussah wie eine verkohlte Ratte. Ich schluckte krampfhaft.
»Weiß nix über das, was da draußen los ist«, grummelte sie und legte die Ratte auf den schmutzigen Asphaltboden. Dann, eine Hand im Kreuz, stand sie auf und schlurfte ein paar Schritte durch den Raum. »Ach, du bist es.«
Ich schluckte den Kloß in meiner Kehle hinunter. Sie erkannte nicht mich, sie erkannte Cara. Beinahe hätte ich den Mund aufgemacht, um ihr meinen Namen zu nennen, aber nach einer möglichen neuen Heckenschützen-Attacke schien mir das keine gute Idee zu sein.
»Wir haben nicht viel Zeit«, sagte Cara. »Die Soldaten sind unterwegs. Besser, du wirst schnell alles los, was dich in Schwierigkeiten bringen könnte.«
Das ledrige Gesicht der Frau bekam einen angespannten Ausdruck. »Das wärest dann wohl du, Sarah, Mädchen.«
Sie trat über die Ratte hinweg und ging in die entgegengesetzte Ecke, wo ich bisher nur einen Haufen schmutziger Wäsche wahrgenommen hatte. Nun aber war unverkennbar, dass darunter ein Mensch steckte.
»Hoch mit dir. Steh auf.« Sie versetzte dem Mädchen einen sanften Schlag auf das nackte Bein, als dieses aus der Deckung kroch. »Mit der haben die Soldaten eine Menge Spaß gehabt«, sagte sie leise zu uns.
Sarah stöhnte.
»Ich weiß, Liebes«, tröstete die Frau sie, und das Mitgefühl bahnte sich einen Weg durch die harte Schale. Ich bückte mich, um ihr zu helfen, das Mädchen vom Boden hochzuziehen. Als ich Sarahs Gesicht erblickte, keuchte ich auf und hätte sie beinahe wieder fallen gelassen.
Eine Wange und ein braunes Auge waren noch absolut intakt – ich konnte sogar erkennen, wie umwerfend ihre vollen Lippen hätten sein können –, aber die andere Wange war schwarz und gelb angelaufen und gute zweieinhalb Zentimeter dick angeschwollen. Gleich unter dem Kinn war eine handbreite, bogenförmige Wundnaht, und ihr linkes Auge war vollkommen zugeschwollen. Sogar ihre Stirn war durch Blutergüsse und einen großen fehlenden Hautfetzen entstellt. Ich war froh, dass ich auf der Seite stand, auf der sie verletzt war. Es hätte mir leidgetan, hätte sie meine Reaktion gesehen.
Sarah war schwanger. Das FBR hatte ein schwangeres Mädchen beinahe zu Tode geprügelt.
»Na bitte«, sagte die Frau, als Sarah auf den Füßen stand. Ich stützte sie unter dem Ellbogen ab und blickte an ihr herab, ernsthaft erschrocken über ihre Kleidung: ein tief ausgeschnittenes cremefarbenes Kleid, das sich über ihre Hüften und den dicken Bauch unter den Rippen wölbte. Blut befleckte ihre Brust. Rostrote Streifen zogen sich bis zum Saum hinab. Und ihre Schuhe sahen aus wie Tanzslipper.
Caras Stirnrunzeln deutete an, dass auch sie über die absurde Aufmachung erstaunt war.
»Toll«, hauchte sie. »Kannst du rennen?«
Das Mädchen nickte zaghaft. Etwas an seiner Haltung sagte mir, dass es viel zu unschuldig war für all die Gewalt, die es umgab. Wie alt mochte es sein? Sechzehn? Damit wäre es gerade ein Jahr jünger als ich.
Der Wind rüttelte am Dach und hob es für ein paar Sekunden heulend von seinem Sockel. Dann prasselte der Regen so heftig auf das Metall, dass mir die Ohren klingelten.
»Es läuft folgendermaßen«, erklärte Cara. »Wir schaffen dich zu jemandem, der dich an einen sicheren Ort bringen wird. Du sagst keinen Ton, bis wir dort sind. Du wirst auf dem ganzen Weg den Mund halten.«
»Ja, Ma’am.« Sarah hob trotzig den Kopf, und eine neue Woge des Mitgefühls rollte über mich hinweg. »William wollte daf nicht, wifft ihr«, sagte sie. »Er hat mich geliebt. Er hat mich ausgewählt . Auf den Feften.«
»Das reicht«, blaffte Cara sie an, steckte den Kopf zur Tür raus und winkte Sean herbei.
»Feste?«, fragte ich
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