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Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)

Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)

Titel: Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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und ich die Beine ausstreckten.
    »Das ist also dein Zuhause«, kommentierte er und rollte die Schultern.
    »Beinahe.« Ich zögerte. »Fühlt sich komisch an, wieder herzukommen, ohne zu wissen, wer uns dort erwartet.«
    »Ja«, entgegnete er mit einem eigenartigen erstickten Seufzer. »Manchmal ist es besser, es nicht zu wissen.«
    Ich runzelte die Stirn, aber Sean schüttelte den Kopf. »Trotzdem ist es gut, nachzusehen«, fügte er hinzu, als wäre ihm das erst nachträglich in den Sinn gekommen.
    Meine Gedanken kehrten zurück in die Zeltstadt und zu Seans Geständnis, dass auch er an solch einem Ort gelebt hatte, und ich fragte mich, ob er wohl noch irgendwo Angehörige hatte. Erzählt hatte er so etwas nie, und er sah nicht aus, als würde er jetzt damit anfangen wollen.
    »Was hast du über Chicago herausgefunden?«, wollte ich wissen, was mir ein dankbares Nicken eintrug.
    »Marco sagte mir, wir würden den Widerstand in den Ruinen eines alten Flugplatzes finden.«
    Ich schauderte. Während des Krieges hatten Flugplätze zu den ersten Angriffszielen der Insurgenten gezählt. In den Nachrichten hatte ich gesehen, was von ihnen übrig geblieben war: demolierte Gebäude, riesige Betonstaubwolken, aber kein einziges Flugzeug. Nicht mehr, seit mit Beginn des Krieges der Luftverkehr verboten worden war. Chase verlagerte neben uns unbehaglich sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Für ihn waren das nicht nur Fernsehnachrichten. Er war dabei gewesen.
    »Er hat gesagt, das wäre eine derbe Truppe da oben im Norden«, fuhr Sean fort, als weder Chase noch ich etwas beitrugen. »Hat gesagt, die wären irre. Zu viel Zeit an der Front oder so was.«
    »Werden sie uns helfen?«, erkundigte ich mich ein wenig unsicher.
    »Sicher. Wir sollten nur nicht mit so etwas wie Gastfreundschaft rechnen.«
    Ich legte die Stirn in Falten, während ich überlegte, was das wohl zu bedeuten hatte, ging aber auch davon aus, dass es nur sehr wenige von uns mit der Großzügigkeit von Marco und Polo aufnehmen konnten. Die hatten uns sogar gestattet, ihren Wagen zu klauen.
    Als der Tank wieder voll war, fuhren wir weiter.
    Die Lichter der alten Basketballanlage, die nach dem Krieg in eine Produktionsstätte für Horizons umgewandelt worden war, waren das Erste, das wir von unserer Heimatstadt zu sehen bekamen. Kalt und gelb, wirkte ihr Licht in der Nacht eher wie eine Warnung und nicht wie ein Willkommensgruß. Der Rest der Stadt lag in tiefer Dunkelheit. Mit Ausnahme des Lichtschimmers, der von dem Krankenhaus in der Ferne ausging – dem ersten Ort, an den man mich im Zuge der Revision gebracht hatte. Ich rückte wieder ganz an den Rand meines Sitzes und zupfte geistesabwesend an dem Knoten des Halstuchs, das zu meiner Uniform gehörte.
    Die Straßen waren vollends verlassen. Doch dann, als wir uns der Kennedy Bridge näherten, raste ein anderer Streifenwagen von Süden her auf uns zu, schnell genug, dass er beinahe in den Ohio gestürzt wäre.
    Mein Herz verkrampfte sich in der Brust.
    »Nein«, flüsterte ich. »Nicht anhalten, nicht anhalten, nicht anhalten.«
    Ich sank tiefer in den Sitz. Sean dagegen rührte sich nicht, sondern schlief auf der Rückbank.
    Der Wagen jagte ohne zu bremsen vorüber. Chase atmete hörbar aus und fuhr weiter.
    »Schätze, nun wissen wir, was die MM während der Ausgangssperre macht«, bemerkte ich zittrig und fragte mich, ob die Soldaten nur gern rasten oder ob sie Whiskey wie den getrunken hatten, den wir im Laderaum des Horizons-Lieferwagens gefunden hatten. Oder ob womöglich Leute wie wir in dem Wagen saßen.
    Der Gedanke half mir ein wenig.
    Die Uhr im Armaturenbrett zeigte 2:27 morgens an, als wir die dunklen Fluten des Ohio auf einer hohen Metallbrücke überquerten. Nur noch vier Stunden bis zur Aufhebung der Ausgangssperre, vier Stunden, bis irgendein neugieriger Zivilist unsere Gesichter erkennen und uns melden könnte. Der Druck machte sich in meinem Körper in Form angespannter Muskeln bemerkbar. Niemand von uns hatte es laut ausgesprochen, aber wir waren gut beraten, noch vor Anbruch der Dämmerung wieder von hier zu verschwinden.
    Der Streifenwagen rollte über den aufgeplatzten Asphalt. Das Licht der Scheinwerfer huschte über einstige Wahrzeichen, als wären wir Historiker, die eine uralte Gruft freilegen wollten. Da war das Stoppschild auf halbem Wege zwischen Beths Haus und meinem. Dort hatten wir uns früher auf dem Schulweg getroffen. Damals, als ich noch zur Schule gegangen war.

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