Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
Gefühl der Ruhe, das ich derzeit aufbringen konnte, war nur eine Pause von der emotionalen Achterbahn, auf der ich üblicherweise unterwegs war.
»Hast du diese Leute umgebracht?«
»Nein!« Ich tat einen Schritt auf sie zu, und sie wich erneut zurück und hob die Taschenlampe wie ein Schwert. Ich fühlte, wie mir ein Schluchzer die Luft abdrückte.
»Nein, ich habe niemanden umgebracht«, betonte ich langsam und in dem Ton, den Chase stets benutzte, wenn ich Angst hatte. »Du kennst mich. Ich würde so etwas nicht tun.«
»Du trägst eine Heilsschwesternuniform. Ich hätte nie gedacht, dass du dich denen anschließt. Du hättest gesagt, das wäre zu regierungsfreundlich. Als würde es die Invasion fördern oder so was.«
Ich seufzte. Ganz unrecht hatte sie nicht. »Wann sind die eigentlich hergekommen?«
»Vor zwei Wochen. Sie unterrichten jetzt.«
»An der Western?«, fragte ich fassungslos.
»Jep. Aber sie sind überall in der Stadt. In den Suppenküchen und so. Die Leute sagen, sie kommen aus einem Ausbildungszentrum der Schwesternschaft in Dallas.«
Ich stellte mir eine Fabrik vor. Normale Mädchen traten durch eine Tür ein und kamen voll ausgestattet in konservativer Uniform zu einer anderen wieder heraus. Ich dachte an Rebecca. Was für ein Zombie sie gewesen war, zumindest hatte sie so getan, als ich ihr das erste Mal begegnet war.
»Tja, ich bin keine Schwester. Die Uniform ist nur geborgt, so wie die Waffe.«
»Wozu brauchst du eine Waffe, wenn du keine Leute erschießt?«
»Ich wurde verleumdet, okay?«, rief ich frustriert. »Sie ist … zu meinem Schutz.«
»Unterbrich mich, wenn ich falsch liege«, entgegnete sie, »aber bringt man sich mit einer Waffe nicht nur noch mehr in Gefahr?«
Ich kicherte. »Ich trage ja gar keine Waffe, du Blindgänger, ich … ich weiß auch nicht.«
»Du trägst eine Waffe«, beteuerte sie. »Du kommst mir vor wie eine verrückte Geheimagentin.«
Ganz gegen meinen Willen musste ich lachen. »Ich habe dich vermisst. Furchtbar.«
»Ja, ja.« Aber ein kleines Lächeln konnte sie sich nicht verkneifen.
»Wir wollen zu einem sicheren Haus.« Irgendwann.
»Wie das, zu dem Truck fährt?«, erkundigte sie sich.
»Er hat dir nicht gesagt, wo es ist, was?«, fragte ich, und sie schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, was sie tat. Aber wie schon gesagt, vielleicht war es besser so.
»Ja, wir wollen zu so einem Ort. Und du solltest das auch tun.«
»Äh, ich habe hier sozusagen Verpflichtungen«, entgegnete sie und hörte sich wieder viel mehr wie sie selbst an.
Ich schüttelte den Kopf, und tief im Inneren empfand ich ein schmerzliches Bedauern. »Ich wollte auch die Schule abschließen, aber …«
Sie setzte ein spöttisches Grinsen auf und verschränkte die Arme vor der Brust. So etwas tat sie nur, wenn jemand ihre Gefühle verletzte.
»Das hier?«, ging mir auf. » Das ist deine Verpflichtung? Du musst damit aufhören. Du solltest die Stadt verlassen. Nimm deine Eltern und deinen Bruder und verschwinde.«
»Ember, du machst mir Angst.«
Ich packte ihre Schultern, und sie zuckte zusammen. »Du solltest auch Angst haben.«
Unbewusst starrte sie mich eine Sekunde lang an, ehe sie sich abrupt abwandte.
»Das war für dich!«, sagte sie und fing erneut an zu weinen. »Ich wollte dafür sorgen, dass das, was euch passiert ist, nie wieder passiert!«
Getroffen wich ich zurück. Nie wieder? Es war, als müsste ich einem Kind erklären, warum schlimme Dinge geschahen. Ich konnte es ihr nicht begreifbar machen. Und, schlimmer, wäre ich an ihrer Stelle, dann hätte ich es auch nicht begriffen.
»Ich … ich weiß. Es tut mir leid. Aber siehst du, mir geht es gut, du musst dir also um mich keine Sorgen machen. Und du hast deine eigene Familie und dich selbst. Darum musst du dich kümmern. Überlass es doch Leuten, die weniger zu verlieren haben, alles aufs Spiel zu setzen.« Leuten wie mir.
»Weniger zu verlieren?«, wiederholte sie in vage scharfem Ton. »Sie haben mir meine beste Freundin genommen und ihre Mutter umgebracht! Was brauche ich wohl sonst noch für einen Grund, um zu helfen?«
Wie sehr ich es auch ablehnte, ich konnte sie verstehen.
»Wie geht es Ryan?«, fragte ich, um sie für einen Moment abzulenken, während ich überlegte, wie ich sie zur Vernunft bringen konnte.
Sie verschwand in einer dunklen Ecke und kniete sich zu Boden. Das Licht ihrer Taschenlampe brachte gleich darauf einen Umzugskarton zum Vorschein.
»Ich weiß es
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