Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
nicht«, gab sie gereizt zurück. »Und es ist mir auch egal.«
»Habt ihr euch getrennt?« Ryan, der Junge mit der Streberjacke zur Schuluniform, hatte sich schon in unserem ersten Jahr in Beth verguckt. Ich konnte kaum glauben, dass er inzwischen abgemeldet war.
»Jep.«
»Wow. Warum? Er wurde doch nicht eingezogen, oder?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er ist nicht gerade begeistert darüber, was ich hier mache.«
Ich ignorierte das schmerzhafte Gefühl, verraten worden zu sein. Ryan war auch mein Freund gewesen. Er war dabei gewesen, als ich festgenommen wurde, aber er war nicht so tapfer – oder so dumm – wie Beth. Er war schlau. Und er hatte recht .
Ich sackte neben ihr zu Boden.
»Das sage ich ja. Du solltest nicht hier sein! Deine Eltern wissen bestimmt nichts davon, sonst hätten sie deine Zimmertür mit einem Vorhängeschloss verriegelt. Was ist, wenn Harmonys Bruder dich verrät? Du willst nicht in einer Resozialisierungsanstalt landen, Beth, ganz im Ernst.« Falls sie dich überhaupt lange genug leben lassen.
»Ich bin vier Monate älter als du«, sagte sie scharf. »Hör auf, mich zu belehren.«
Ich schnaubte. Für mich fühlte es sich nicht mehr so an, als wäre sie älter. Ich kam mir älter vor. Etliche Jahre älter. Ich hatte Dinge erlebt, die Beth hoffentlich noch eine lange Zeit oder auch für immer erspart bleiben würden.
»Hier«, meldete sie sich in einem milderen Ton wieder zu Wort. »Das ist alles, was ich für dich beiseiteschaffen konnte.«
Sie rammte mir den Karton an die Knie, und ich sah einen kompletten Satz Kleidung inklusive BH , etwas Tafelsilber, eine halb leere Shampooflasche, eine Nagelfeile und ein Vorkriegsmagazin. Meine Finger glitten über die verknitterten, feuchten Seiten. Meine Mom hatte diese Zeitschriften gern gelesen. Sie hatte sie mit den Frauen getauscht, die als Freiwillige in der Suppenküche gearbeitet hatten. Zu wissen, dass ihre Hände diese Seiten berührt hatten, wie es nun meine taten, war mir ein kleiner Trost. Ich dachte an Chase’ Bilder und den Ring seiner Mutter, aber ich war nicht neidisch. Das hier war, was sie war. Eine Frau, die unbedeutende Regeln brach, wenn sie sie für überflüssig hielt. Eine Frau, die es vorzog, sich auf die guten und interessanten Dinge im Leben zu konzentrieren, statt auf die trostlose Zukunft.
»Wo hast du all die Klamotten her?«, fragte ich.
»Die hast du bei mir liegen lassen.«
Ja, nun fiel es mir wieder ein. Manchmal hatte ich Beths Waschmaschine benutzt und Ersatzkleidung mitgenommen, die ich tragen konnte, während die andere in der Maschine war. Die Jeans und das Sweatshirt gehörten nicht zu meinen Lieblingsstücken, aber sie würden mir passen, ebenso wie der BH .
Ich schnappte mir die Kleidung und die Zeitschrift und wickelte alles vorsichtig in das Sweatshirt.
»Und er hat dich wirklich aus der Reformschule rausgehauen?« Mit einem Nicken deutete sie in Richtung Flur.
»Das und vieles mehr.«
Sie seufzte. »So, wie er dich ansieht … als würde sein Arm abfallen, wenn ich dir deinen umdrehe oder so was. So hat Ryan mich nie angesehen.«
»Er ist ziemlich fürsorglich.« Ich wusste nicht, was ich sonst dazu sagen sollte.
»Offensichtlich«, schnaubte sie. »Du liebst ihn immer noch, was?«
Ich nickte, und auf ihrem Gesicht erschien ein verhaltenes Lächeln.
»Bist du noch Jungfrau?«
»Ja, Herrgott.« Ich schaute zum Fenster hinaus und zu dem leeren Haus nebenan und wünschte, er würde immer noch dort und ich immer noch hier wohnen und das größte unserer Probleme bestünde darin, dass er sich während der Sperrzeit zu mir herüberschleichen müsste.
»Oh. Gut. Ich auch.« Ein kurzes Lachen ertönte.
Von da an ergingen wir uns in einer unverbindlichen Unterhaltung, einer, in der wir uns unserem alten Selbst näherten, ohne es je ganz zu erreichen. Ich fürchtete mich davor, ihr zu nahe zu kommen, denn ich würde sie unausweichlich wieder verlieren, und ich fragte mich, ob sie auf irgendeiner Ebene genauso empfand.
Uns ging die Zeit aus. Mit jedem Herzschlag spürte ich das Ticken der Uhr.
»Tut mir leid wegen Ryan.«
Sie biss sich auf die Lippe. »Ja. Ist scheiße.«
»Du darfst ihm nicht sagen, dass ich hier war.«
»Dachte ich mir.«
»Du darfst es niemandem sagen.«
»Ich weiß.«
»Nicht einmal deinen Eltern.«
»Ich weiß .«
Ein Pochen ertönte am Türrahmen.
»Wir müssen los«, sagte Chase und trat auf die Schwelle. Während unserer Unterhaltung hatte ich gehört,
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