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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Pforte zur Hölle wurde mir vor der Nase zugeschlagen, viel Schlimmeres als die Hölle, bedeutete man mir, hatte man für mich auserkoren, ich lief durch eine leere, flache Landschaft ohne Horizont, nach dem Licht kam das Licht und nach der Nacht die Nacht, dies war die unvorstellbare und unsagbare Tortur, die man für mich ersonnen hatte.
    Dann schnurrten friedliche Kindheitsbilder vor meinem Auge ab. Ich sah sie wie auf einer Leinwand, sah Innenhöfe im spanischen Viertel meiner Heimatstadt – und hörte die Gesänge, die mich in den Schlaf gewiegt, umfangen und durchströmt hatten, während ich noch im Mutterschoß schlummerte – schließlich ließ mich ein kleiner unscheinbarer Schrei, der von meinem Zimmer herüberdrang, aus dem Schlaf fahren, halb zwölf, ich stand auf, es war Irène, die sich beim Aufwachen darüber erschreckt hatte, etwas Blut auf dem Laken entdeckt zu haben.
    Ohne guten Morgen, ohne Kuss überschüttete sie mich mit zehn drängenden Fragen über die möglicherweise gravierenden Ursachen für diese Blutung, sie zog einen Tumor der Speiseröhre in Betracht, womöglich hatte sie im Schlaf Blut erbrochen: »An dieser Stelle des Bettes?«, fragte ich mit so ungekünstelter Treuherzigkeit, dass sie den Kopf in den Nacken warf und einen ihrer kurzen und schrillen Lachanfälle bekam – da sie aber in ungewohnter Haltung geschlafen hatte, bereitete ihr diese Kopfbewegung Schmerzen, sodass sie im darauffolgenden Moment ihren Hals nach geschwollenen Lymphknoten abtastete, ihre Hypochondrie sollte mir in den kommenden sechs Tagen nochhäufig auf die Nerven fallen, aber es gelang mir, meine Gleichmut zu bewahren.
    Kaum ein Guten Morgen (endlich), kaum ein Kuss.
    Himmelschreiendes Läuten ihres Telefons.
    Während Maggie im Bad war, rief ich Mireille Bel an (die nicht da war, ich hinterließ ihr eine Nachricht) und bereitete ein so reichliches Frühstück vor, dass es zu dieser Tageszeit als Mittagessen herhalten konnte. Dreimal nahm sich die gefräßige Irène vom Milchkaffee nach. Sie war in der Lage, die Welt mit ihren Klagen über ihr Gewicht, ihre Figur, ihr Bäuchlein auf die Palme zu bringen und, wie ich schon sagte, sich im folgenden Moment mit den unverdaulichsten Nahrungsmitteln vollzustopfen – und wehe dem, der es gewagt hätte, auch nur eine schüchterne und wohlmeinende Bemerkung über die Widersprüche in ihrer Diät zu verlieren!
    Kein Sterbenswörtchen über die Tatsache, dass sie allein im Bett aufgewacht war, dass ich (wie sie hätte annehmen können, auch wenn dem nicht so war) für ihre Bequemlichkeit in ein anderes Zimmer gezogen war. Kein Sterbenswörtchen über unsere Nacht, war es reine Bosheit, dass sie sie mit keinem Wort erwähnte? Davon ging ich aus. Doch es war mir egal: Als sie beim Aufbrechen (und nachdem sie ihre dritte Schale Milchkaffee mit Marmeladenbroten in sich hineingeschüttet hatte) in kaum fragenden Ton bemerkte: »Soll ich heute Abend wiederkommen? Essen wir gemeinsam?«, antwortete ich mit ja.
    Sie setzte mich über ihr Nachmittagsprogramm in Kenntnis.
    »Ich gehe ins Schwimmbad. Ich brauche Wasser und Sonne. Ein kleines sauberes Schwimmbad im 14. Arrondissement, in der Nähe von der Métrostation Alésia. Vorher gehe ich kurz nach Hause. Außerdem habe ich zwei, drei Verabredungen. Und Sie?«
    Das Sie hielt allem stand.
    Irène trug wieder das grüne Kleid vom Vortag. Sie hatte ihr dichtes Haar unter der Dusche gewaschen, es aber, so kurz war es, nur mit dem Handtuch trockengerieben.
    »Ich habe nichts vor. Ich werde ein wenig arbeiten. Auf Nachrichten von Clara hoffen. Soll ich Sie im Auto heimfahren?«
    »Nein. Ich weiß noch nicht, womit ich anfange, und ich habe Lust, ein wenig zu laufen.«
    Kein freundliches »nein, danke«, sondern ein mürrisches »nein« von jemandem, der aus einer Laune heraus eine Gefälligkeit abschlägt – aber zwei Sekunden später, mit einem Lächeln, das ungehemmter war als sonst – offener, rückhaltloser als alle, die ich während ihres Aufenthalts in der Rue des Martyrs zu sehen bekam –, ehrlicher, sanfter, verliebter in seiner auslösenden Ursache, fügte sie mit leicht zur Seite geneigtem Kopf hinzu: »Bis heute Abend? Gegen zwanzig Uhr? Um zwanzig Uhr?«
    Hätte man von Irène nur dieses Lächeln gesehen und nur diese Worte in genau demselben Tonfall gehört, man hätte sie für eine schöne, junge, verliebte Frau halten können (sie, die immer nur ansatzweise schön war, sie, die an meiner Haustür wieder den

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