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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Gewissheit, dass Irène in den folgenden Minuten den ihr endlich eröffneten Weg in die Extase nicht weiter beschreiten würde, meinem sich gewaltsam entladenden Schwung Einhalt gebot, worauf Gewitterstürme über die dürstende Oase peitschten, die bebend in ihr gelauert hatte, ohne dass die in der Dunkelheit unter mir liegende lange, schmale Person ihren Durst ganz gestillt hätte, und so raunte sie mir zu: »Und ich?« – unglaubliche Irène Maggie! Soweit ich mich entsinnen kann, waren dies die einzigen Worte, die sie in jenen ungestümen nächtlichen Stunden von sich gab (abgesehen von einem kategorischen »nein«, als ich die Möglichkeit einer Zeugung erwähnte, und einem kaum hörbaren »Hunger!« nach unserer letzten Umarmung – ja, unglaubliche Irène!) – »und ich?«, enttäuscht darüber, das Wüten des Genusses in meinem Unterleib gespürt zu haben, während er ihren nur heftig erschüttert hatte. Ich versicherte ihr sogleich, dass sie mich in einer Stunde, ja nicht mal, einer halben Stunde, das versprach ich, indem ich in ihr (wohlgeformtes) Ohr flüsterte, auf den strahlenden Gipfel begleiten würde, den sie am Ende des bereits erwähnten Wegs in die Ekstase erblickt hatte, eines Wegs, auf dem ich ihr einige Schritte vorausgeeilt war.
    Sie glaubte an mein Versprechen (was für ein Vertrauen, was für ein kindliches Vertrauen schenkte mir doch dieser arglistige Geist!), und bestimmt spielten ihre Gewissheit und ihr Glauben keine ganz unwichtige Rolle bei der Erfüllung unserer zweiten Genuss-Solls – ein weiteres entscheidendes Element war schließlich der Rausch der Selbstanbetung, dem sie sich hingab, als sie die ganze Tiefe ihre Wollust mit einem Schlag entdeckte – und tatsächlich war ich, da mein Begehren wieder erwachte, einzig darauf bedacht, sie zum Höhepunkt zu bringen, als würde mein Leben davon abhängen (aber vielleicht hing mein Leben ja wirklich davon ab), voller Geduld und Sorgfalt, erbarmungslos, gründlich und ungestüm, sodass ich just in dem Moment, als ihr endloser Schrei eines Tiers erklang, das seinen Jubel demgesamten Universum mitteilt, ja, just in dem Moment wurde ich aus mir selbst verbannt in ein ewiges Exil, wo ich, meiner Seele beraubt, an die Gestade eines fernen, unbekannten Landes gespült wurde.
    Kurz darauf hörte ich also, wie Maggie zwei zarte (aber deutlich voneinander abgesetzte) Silben hinhauchte, »Hunger«, worauf mir mehrere mechanische Bewegungen ihres Körpers zu verstehen gaben, dass ich störte, dass ich in dem schmalen Bett zu viel war – offenbar war sie im Begriff zu vergessen (ich übertreibe), dass ich eben noch »ihr« Lager geteilt hatte, wo ich in dieser Vollmondnacht wild mit ihr gerungen hatte – und auf dem sie schließlich, noch immer breitbeinig, mit ausgestreckten Armen und regelmäßigen Atemzügen, in den Schlaf fiel.
    Das Licht des anbrechenden Tages, das nur schwach durch die dunkelblauen Vorhänge sickerte, entriss die Formen und Verzierungen meines hohen, majestätischen, imposanten Spanischen Schranks aus einem anderen Jahrhundert gewaltsam dem Nichts.
    Ich ging vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer hinüber, um mich dort aufs Sofa zu legen.
    Nun, da ich meinen Körper von ihrem gehoben hatte, war es unmöglich, ganz unmöglich, Maximes Tod nicht ins Auge zu sehen – aber würde ich die lebendigen Augen meines Freundes bis zu meinem eigenen Tod, bis ans Ende der Zeit nicht wiedersehen und auch nie wieder sein Lachen hören, ebenso wenig wie ich Magdalena, meine Mutter, meinen Onkel Pepe oder den Engel Cathy wiedersähe? Kummer und Leid wurden in mir entfesselt und knüppelten mich derart heftig nieder, dass ich dem Tod nur um Haaresbreite von der Schippe springen konnte, und wenn ich mich angesichts des unerträglichen Schmerzes zu sehr zusammenkauerte, prügelten sie auf meinen Rücken ein, und wenn ich die Schläge auf den Rücken nicht mehr ertrug, blieb mir nichts anderes übrig, als ihnen erneut meinen armen Bauch darzubieten –und am Ende sperrten sie mich in das unterste Kerkerloch der Verzweiflung, wo sie mich bei lebendigem Leibe häuteten und mir Beleidigungen und Verleumdungen an den Kopf warfen.
    Ich erinnere mich, dass ich danach eine Ewigkeit nicht in der Lage war, der Horde wilder, kriechender Tiere zu entfliehen, die mein Herz und meine Eingeweide zu verschlingen drohten – und als die Läden öffneten und die Lieferwagen die Rue des Martyrs zum Dröhnen brachten, verlor ich mich in einem letzten Albtraum: Die

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