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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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italienischen Marke Abba Kappa, einer berühmten kosmetologischen Marke (aber da ich schon mit halber Aufmerksamkeit bei der noch folgenden Geschichte bin, hätte ich beinahe »kosmologisch« oder »kosmogonisch« geschrieben), war die schönste und teuerste, die ich je erworben hatte. Die schönste – aber aus Holz, und lackiert! Wie hatten sie bei Abba Kappa nur auf die absurde Idee kommen können, eine Nagelbürste aus lackiertem Holz zu entwerfen? Schon nach dem dritten Gebrauch war der Lack durch die Feuchtigkeit matt geworden und abgeplatzt, sodass sie aussah, als wäre sie schon seit tausend Jahren in Verwendung. (Aber wie effektiv sie doch die Nägel bürstete!)
    Ich wohnte in der Hausnummer 49a, in der fünften und obersten Etage eines schönen Wohnhauses, das von etwas dunklerer Farbe war als die Nachbarhäuser (obwohl die Fassaden zum selben Zeitpunkt saniert worden waren). Der Zugang zum Fahrstuhl waren nicht gerade gepflegt, lauter Kartonreste, Papier und Stroh lagen verstreut, was mich erstaunte. Dann erinnerte ich mich, dass an dem Tag ein Umzug stattgefunden hatte, die Dame mit dem Hund, die in zwei Mädchenzimmern im sechsten Stock wohnte, war ausgezogen, ihr großer Neufundländer erstickte in dem beengten Raum. (Für gewöhnlich fragte ich die Frau zweimal im Jahr, ob die Musik sie auch nicht störte. Und sie antwortete freundlich nein, im Gegenteil.) Ich betrat den Fahrstuhl, ohne ihm eine erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen, in Gedanken versunken – wobei mir dennoch irgendetwas auffiel, ich weiß nur nicht was. Nach zwei Stockwerken drehte ich michum, um einen Blick in den Spiegel zu werfen, wie man es eben manchmal tut, und da – für eine Achtelsekunde Überraschung, Schock, Panik – die Hausmeisterin musste den Umzugsleuten erlaubt haben den Fahrstuhl zu benutzen und hatte wohl vorsichtshalber den Spiegel abgenommen – aber das begriff ich erst nach einer Achtelsekunde! – ich hatte mich nicht gesehen und hielt mich im ersten Moment für verschwunden.
    Eine unangenehme Erfahrung.
    Ich öffnete die Tür. Meine Wohnung, die ich im Laufe der Jahre hübsch eingerichtet hatte, war mein ganzes Vermögen. Ich hatte sie gleich bei meiner Ankunft in Paris gekauft, von dem Erbe eines Bruders meiner Mutter, Pepe (die spanische Koseform von Josef), eines guten Mannes, eines Heiligen, wie ich fand, der ein wenig die Rolle meines Vaters übernommen hatte. Mein echter Vater war infolge eines Herzleidens, das ihm wiederum sein Vater vermacht hatte, zwei Monate vor meiner Geburt gestorben, ein gutartiges angeborenes Herzleiden, das sich jedoch während seiner Gefangenschaft in einem deutschen Arbeitslager im Zweiten Weltkrieg verschlimmert hatte.
    Diese Herzinsuffizienz hatte ihre Verfolgungsjagd jedoch nicht über Generationen hinweg bis zu mir fortgesetzt.
    Das Wohnzimmer mit den zwei Fenstertüren und die große Küche gingen zur Rue des Martyrs, das Schlafzimmer und das Klavierzimmer (mit einem Stutzflügel der Marke Ernst Maïmer) hingegen nach hinten zu einem weitläufigen grünen Garten, der dem vom Institut Benjamin stark ähnelte. Sah man aus dem Fenster, fühlte man sich weit fort, man wusste nicht mehr, wo man war, ein Eindruck, der im Klavierzimmer durch die perfekte Schallisolierung noch verstärkt wurde.
    Ich fühlte mich wohl bei mir zu Hause. Die Erinnerung an meinen Onkel Pepe hatte die Wohnung für immer in eine Stätte der Wohlgesinntheit verwandelt.
    Bevor ich mich etwas anderem widmete, hob ich den Plattenbeschwerer von meinem M+A Mimetism II (meine jüngsteAnschaffung), legte eine Kantate von Telemann auf (die äußerst hübsch war, ihre ganze Pracht aber vor allem durch Ingrid Schmithüsens Stimme entfaltete) und warf mich auf mein nachtblaues Sofa, aufs linke Kissen (ich nutzte meine Sofas reihenweise über das linke Kissen ab). Die letzten Sonnenstrahlen streichelten die Flanken meiner Spendor Lautsprecherboxen (von »Spencer« und »Dorothee«, zwei Engländern, Mann und Frau, die dieses kleine Wunder entwickelt und für den Markennamen die jeweils erste Silbe ihres Namens zusammengefügt hatten) und umhüllten den Mimetism wie ein liebkosender maßgeschneiderter Stoff aus Licht. Mit geschlossenen Augen lauschte ich der Musik. (Wie sehr liebte ich doch meinen Mimetism, der sich bestens eignete, den Klang der Wirklichkeit wiederzugeben, und zwar mit so unglaublicher Treue, dass es mir schien, als sei dieses Wunder der Wirklichkeit vorausgegangen, ja, wenn ich ins Konzert ging, kam

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