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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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gefesselt blieb (ausgerechnet er, der es sich überJahre zur Gewohnheit gemacht hatte, um den ganzen Planeten zu reisen), er wurde zynisch, tyrannisch – aber er vergötterte seine Tochter, seinen einzigen Daseinsgrund. Tagsüber kümmerte sich eine Vielzahl an Bediensteten um alles. Nachts hingegen war nur Anton Koenig da, ihr alter und treuer Anton, der schon seit langem im Haus lebte.
    »Und, wie schmeckt das Törtchen?«
    »Köstlich! Genau wie es aussieht, genau der Geschmack, den ich mir vorgestellt hatte! Wollen Sie probieren?«
    »Nein, danke. Ich habe überhaupt keinen Hunger.«
    »Ich auch nicht«, sagte sie lächelnd (aber sie lächelte immer ein bisschen, und ihre schwarzen Augen waren immer ein bisschen schelmisch). »Hier, nur ein kleines Stück …«
    Ich probierte. Köstlich, in der Tat. Ich unterhielt mich mit Cathy über die Beziehung, die – ganz gleich ob in echt oder nur in unserer Phantasie – zwischen dem Aussehen der Dinge und ihrem Geschmack bestand, über ihre Schulergebnisse, über Musik, über ihr Talent als Klavierspielerin, aus dem man bald etwas machen müsse. Dann kam Anton Koenig, Cathy erblickte das große schwarze kantige Auto.
    Ich zahlte (trotz Cathys schüchternem Protest), und wir verließen das Café.
    Anton stellte das Auto ab (der Platz war knapp, aber er war geschickt beim Einparken), und zwar auf dem Lieferantenparkplatz, der für das etwa zehn Meter vom Institut entfernte Pressehaus reserviert war. Mit seinem hohen Wuchs, seiner Mütze, dem weißen Haar und der steifen Haltung glich er einem Chauffeur aus einem alten Film. Cathy und er mochten sich sehr. Er erzählte mir von den Bauarbeiten, die die Straße nach Suresnes blockierten und einen dazu zwangen, auf die benachbarten Straßen auszuweichen, die nur so wimmelten vor chaotisch umherfahrenden Autos, er hatte schon befürchtet, dort nie wieder herauszukommen. Er plauderte gern mit mir. Wir kannten uns kaum, aber ich hatte stets gespürt, dass er mir vertraute. Er klagte(wie so häufig) über seine Gesundheit, leichte Gichtanfälle, die sich verschlimmerten (sein Vater war an der Krankheit gestorben). Er ging zu selten zum Arzt. Die Dinge würden sich ändern, er würde besser auf sich achtgeben. Er hatte furchtbare Angst, sich irgendwann gar nicht mehr bewegen zu könne. Dann, sagte er, würde Cathy mit zwei alten gelähmten Greisen in Versailles leben müssen … Ich forderte ihn zu mehr Optimismus und, ja, zu einem Arztbesuch auf, dann gab ich ihm zum Abschied die Hand. Meine Lieblingsschülerin küsste mich auf die Wange. Das war das erste Mal. Sie war ganz schüchtern dabei, und ich auch.
    Eine Zeit unfreiwilliger Lähmung sollte Anton schon bald durchleben, und hätte ich damals schon die schrecklichen Folgen gekannt, die damit verbunden waren, hätte ich nicht bloß ein paar freundliche Worte des Trostes gespendet, sondern ihn unverzüglich und notfalls mit Gewalt zu sämtlichen Hyperurikämie-Spezialisten der Stadt gezerrt.
    Die Sonne senkte sich über Notre-Dame-de-Lorette am Ende der Rue des Martyrs. (An manchen Sommerabenden setzte ich mich auf den Balkon und wartete, bis der Fixstern komplett untergegangen war und seine roten Lachen über die Dächer ausschüttete, ohne dabei einem bestimmten System zu folgen, oder wenn, dann einem für uns undurchschaubaren System.)
    Ich ging in meiner angestammten Bäckerei gegenüber vom Supermarkt Shopi Brot holen. Sie war voll. Von der Bäckerei aus betrachtet wirkte die Rue des Martyrs wie eine andere Straße.
    Das Wetter war mild und würde es laut Wetterbericht auch bis zum übernächsten Tag bleiben.
    Als ich die Rue des Martyrs hinaufging, beäugte ich im Schaufenster der Apotheke auf der Ecke zur Rue Clauzel eine Nagelbürste, die mir schon tags zuvor aufgefallen war. Eigentlich brauchte ich keine weitere, ich hatte schon mehrere zu Hause, aber … ach was, ich ging hinein und leistete sie mir, das dunkle matte Blau des Kunststoffs war zu verführerisch, die Maße goldrichtig.Ich betrachte mich nicht als vollkommen sauber, wenn ich mir nicht wenigstens einmal am Tag die Nägel gebürstet habe. (Ich denke, das Klavierspielen verleitet einen dazu, auf tadellos gepflegte Fingernägel zu achten.) Und wenn man eine bestimmte Art Gegenstand mag, beginnt man, Ansprüche zu entwickeln, einen Mangel zu fürchten, man bekommt Lust, ihn auszutauschen, wenn man etwas Besseres gefunden hat oder glaubt, etwas Besseres gefunden zu haben. Meine vorige Nagelbürste der

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