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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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keinen besonderen Wert darauf. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich kein bisschen, sie sagte kein Sterbenswort.
    Ich hatte selbst nicht die geringste Lust.
    Also lehnte ich ab. (Wie sehr sollte ich diese Ablehnung bedauern, wie sehr sollte ich sie schon bald bedauern!)
    »Leider geht das nicht!«, sagte ich und warf einen hastigen Blick auf die Uhr. »Ich muss nach Hause. Ich muss mich sogar schon beeilen.«
    Cathy gab mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange – das war nun zur Gewohnheit geworden, von nun an gab sie mir zum Abschied einen Kuss –, und in einer Anwandlung von Zärtlichkeit fasste sie mir mit der Hand auf die Schulter, während meine Lippen ihre Wange berührten.
    Ich stupste mir mit dem Zeigefinger auf die Oberlippe, auf Höhe vom Zahnfleisch, und sagte:
    »Aufpassen beim Abendessen!«
    Sie lächelte und winkte mir zu.
    Die Hauptallee verzweigte sich in drei Alleen, die man nur auf wenigen Metern überschauen konnte. Danach verliefen sie offenbar in Serpentinen weiter, kreuzten sich vielleicht, sodass der kleine Wald auf mich wie ein Labyrinth wirkte, in das Anton und Cathy vordrangen, wobei Cathy, nachdem sie sich umgedreht und mir noch einmal zugewinkt hatte, Anton liebeswürdig den Arm reichte.
    Ich nahm wieder die Avenue Pershing und verließ pfeilgeschwind diesen Vorort, der mich verdrossen machte. Gedankenverlorenkehrte ich nach Paris zurück. Am Virgin-Store auf den Champs-Élysées legte ich einen kurzen Halt ein, um mir die neue Einspielung der Bach-
Partitas
durch den Pianisten Murray Perahia zu kaufen.
    Das Auto war weit weg geparkt. Es tat mir gut zu laufen. Die Anonymität der Champs-Élysées hatte mir schon immer gefallen.
    Zurück in meinem Viertel kam mir in den Sinn, zum Abendessen Klößchen (Natur) zu kochen. Ich ging zum Supermarkt Champion in der Rue de Mabeuge. Wie so viele andere Kunden, die mit der Absicht hineingegangen waren, drei Kleinigkeiten zu holen, und mit vollem Einkaufswagen wieder herauskamen, kam ich mit vollem Einkaufswagen wieder heraus.
    Ich stopfte meinen großen Kühlschrank voll. Es war ein angenehmes Gefühl, von dieser Fülle geschützt zu sein. Selbst wenn ein endloser, bitterer Krieg ausbräche, würde er mich nicht unvorbereitet treffen.
    Während die Klößchen zogen, lauschte ich verzückt Murray Perahias Spiel.
    Und ich dachte an Cathy. Wie würde sie in den nächsten Tagen zum Institut kommen? Wie verbrachte sie ihre Zeit in diesem Schloss abseits der Welt und des Lebens, in dem ich sie abgesetzt – »zurückgelassen« hatte, kam mir in den Sinn?
    Nach dem Abendessen war ich drauf und dran, Mathilde Étrelat anzurufen, ließ es aber bleiben. Zu früh, seit unserer ersten Begegnung war zu wenig Zeit ins Land gegangen. Aber ich hatte Lust auf Kino. Ich spürte eine Unruhe in mir, woher sie rührte, keine Ahnung. Ich tigerte durch die Wohnung, räumte Sachen weg, die man nicht wegzuräumen brauchte, hob eine kleine Daunenfeder vom Holzboden meines Arbeitszimmers auf (die seit dem Vortag meinen Blick auf sich zog und die ich eines Tages ohnehin würde auf heben müssen), blickte lauernd aus dem Fenster, lauernd worauf, keine Ahnung.
    Ich war überhaupt nicht müde.
    Um halb zwölf stürzte ich hinaus, als stünde meine Wohnung in Flammen, und raste zur Alésia in ein Kino, das als Mitternachtsvorstellung
Alarm im Weltall
brachte. Ein Science-Fiction-Film, den ich schon seit meinem fünfzehnten Lebensjahr hatte sehen wollen und trotz seiner Berühmtheit wenig interessant fand – aber gut, erledigt, ich hatte ihn gesehen.
    Immer noch nicht müde. Dafür starb ich vor Hunger, die Klößchen lagen schon eine Weile zurück. Ich ging ins
L’Aléa
, eine Modebar in der Impasse d’Alésia, um ein Croissant in eine heiße Milch zu tunken. Das Lokal war einladend. Man konnte draußen in einem von kleinen Bäumen gesäumten und hübsch beleuchteten Hof sitzen. Drei junge Frauen tranken am Nachbartisch Kräutertee. Sie plauderten über dieses und jenes, Make-up, Politik, Bücher. Ich lauschte ihnen vergnügt. Bei meiner Ankunft war ich an zwei Männern vorbeigegangen, die miteinander tuschelten und sich offenbar vertrauliche Dinge erzählten: In Wahrheit beschimpften sie sich. Beim Aufbrechen kam ich an zwei anderen Männern vorbei, die aus der Ferne betrachtet und der Gestik und Mimik nach zu urteilen in eine heftige Auseinandersetzung geraten waren, ja, es sah aus, als würden sie sich gleich prügeln, obwohl sie sich im Gegenteil beglückwünschten, sich

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