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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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von der Anspielung auf sein Äußeres tief gerührt war, gab ihm einen Kuss und sagte, dass die Person, auf die er wartete, ihn schön finden werde, aus dem einfachen Grund, dass er schön sei, einen schönen dunklen Blick habe, wie er im Übrigen selber wisse. Michel pflichtete ihr scherzhaft bei: Hatte Lucie nicht oft genug dasselbe gesagt?
    Dennoch gab Sylvie ihm am Ende ihrer Unterhaltung den neckischen Rat (sie, die von den Freuden des Fleisches ausgiebig gekostet hatte und mit ihrem neuen Verlobten weiterhin von ihnen kostete), er solle nicht zögern, ein wenig von seinem inneren Pfad abzuweichen, wenn sich die Gelegenheit böte, und er möge die Frauen, die sich als willig erwiesen, nicht gleich zurückweisen, mochten sie auch nicht die »Frauen seines Lebens« sein.

K APITEL 6
DIE GESCHICHTE MIT CATHY, 2
    Wollte hinaus und konnte nicht öffnen die Tür
ohne die Wiege von ihrem Platz zu räumen
.
La Fontaine,
Die Wiege
    Die großen Schiffe beklagend
Die vom Meer dem Blick entzogen
Hör ich noch die verlorene Stimme
Erinnerung an die alten Wiegen
.
 (Nach Sully Prudhomme)

Cathy war keine autoritäre Person, niemand, die sich in den Vordergrund spielte, aber sie übte zweifellos eine gewisse Faszination auf ihre Schulfreundinnen aus und die meisten unter ihnen suchten ihre Gesellschaft. Die beiden eifrigsten waren wohl Marie-Jeanne Jalley, ein nettes rothaariges Mädchen, das im selben Viertel in der Rue Manuel wohnte, und Maryse Étrelat, die Cathy vergötterte. Wenn ich hier erneut die blasse Maryse erwähne …
    Aber ich fange weiter oben an.
    L’Énigme du Chicago Express
lautete der (ebenso schreierische wie banale) französische Titel eines Krimis von Richard Fleischer aus dem Jahr 1952,
The Narrow Margin
(»Der schmale Saum«), den ich das erste Mal in Spanien in komplett spanischer Fassung gesehen hatte (
Testigo accidental
, »Unfreiwilliger Zeuge«, was schon genauer als der französische Titel war) und den ich am Samstagnachmittag des 17. Juni im Kino Action Christine wiedersah.
    Als das Licht wieder anging, erblickte ich Maryse Étrelat im Saal. Sie war in Begleitung ihrer Mutter, einer dunkelhaarigen, schmalen, gut gebauten Frau, der ich zuvor noch nicht begegnet war. Ich begrüßte sie beim Hinausgehen. Die Mutter hieß Mathilde. Wir tauschten ein paar Worte über den Film aus. Ihre Leidenschaft für das Kino spielte eine nicht geringe Rolle in der Anziehung, die sie auf mich ausübte. (Wie viel lebendiger, präsenter war sie doch als ihre Tochter!) Sie bedankte sich bei mir für die Qualität meines Unterrichts, Maryses musikalische Sensibilitäthabe sich entwickelt, seit sie meinen Unterricht besuche, sagte sie. (Das stimmte, und es war liebenwürdig, es mir zu sagen. Längst nicht alle Eltern finden so aufmerksame Worte, das kann ich dem Leser versichern.) Ich verabschiedete mich mit dem Satz: »Bis zum nächsten Film vielleicht?«, worauf sie mit einem: »Ja, warum nicht?« antwortete, begleitet von einem natürlichen, spontanen, feinen Lächeln, das mir Lust bereitete, sie zu küssen.
    Am Montagnachmittag überprüfte ich in meinen Unterlagen Maryse Étrelats familiäre Situation: Eltern geschieden.
    Am Mittwoch, den 21. Juni, einem Datum, das ich nicht vergessen habe und gewiss nie vergessen werde (das auf seine Weise einen der vielen »echten Anfänge« meiner Geschichte darstellt), ließ mich Anton nach Unterrichtsschluss ans Telefon rufen. Weil es ihm just in dem Moment, da er von Versailles aufbrechen wollte, unmöglich war, Auto zu fahren oder sich überhaupt zu bewegen – obwohl sein Gichtanfall allmählich etwas nachließ, bat er mich um einen etwas größeren Gefallen als sonst: Ob ich einverstanden wäre, Cathy nach Versailles zu begleiten, im Taxi beispielsweise? Monsieur Maynial würde mir die Fahrtkosten selbstverständlich erstatten. Ich sagte, er solle sich keine Sorgen mache. Ich würde Cathy in meinem Auto nach Hause fahren, es wäre eine nette Spazierfahrt, die mir nichts ausmachte. Der Blick des Direktors, als ich aufgelegt hatte, brachte mich zur Weißglut, ein ironischer Blick, der mir zuzuraunen schien: »Na los, geben Sie es ruhig zu, dass es Ihnen ganz gut in den Kram passt, den Nachmittag mit diesem Mädchen zu beschließen, das Ihnen so gefällt!» Ich hätte nicht übel Lust, ihm die Rübe über Wasserdampf abzulösen, wie einer der Schauspieler, ich weiß nicht mehr wer, in
San Quentin
von Lloyd Bacon, 1937, sagt.
    Oder übertrieb ich, überinterpretierte

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