Gesetzlos - Roman
schlimmsten Gewalttaten ausgesetzt gewesen. Man hätte sie in die Saint-Louis Klinik von Versailles gebracht. Die Ärzte glaubten nicht, sie retten zu können.
Ihr Vater saß, vom Kummer überwältigt, im Rollstuhl neben ihrem Bett und rührte sich nicht mehr von der Stelle.
Die Nachricht war bestürzend. Einem Schwächeanfall nahe musste ich mich setzen. Vielleicht hegten Subert und Gusta den rein theoretischen Verdacht, dass mein Zustand etwas mit ihrer Gegenwart zu tun hatte? Dass der Schuldige wegen der kurz nach der Tat aufgetauchten Polizei niedergeschmettert war? Aber der Gedanke kam mir erst ein paar Minuten später.
Sie wollten mir Fragen stellen. Sie wussten, dass ich ganz in der Nähe wohnte: Würde ich mich für die Beantwortung der Fragen bei mir zu Hause nicht wohler fühlen als hier im Institut? Ihr Vorschlag gefiel mir nicht, ich hielt ihn für einen Vorwand. Ganz offensichtlich wollten sie nur einen Blick in meine Wohnung werfen, aus rein professionellem Argwohn, um dort nach Indizien und Spuren für mein Verbrechen zu suchen … Zu meiner Verzweiflung gesellte sich noch ein nervöses Zittern, das durch Mornais’ und Quirets misstrauische Blicke rasch verstärkt wurde – sie machten aus mir das reinste Nervenbündel, je misstrauischer ihre Blicke wurden, desto mehr ballte sich das Bündel zusammen – ich war drauf und dran, sie zu beschimpfen und türenschlagend abzuhauen.
Cathy misshandelt, vielleicht auf immer verloren!
Ich hatte mich nicht geirrt. Das war kein Einbildung, kein Hirngespinst gewesen, sie hatten tatsächlich den Hintergedanken gehabt, bei mir herumzuwühlen, als sie vorschlugen zu mir zu gehen, Antoine Gusta kam ganz unverhohlen damit heraus. Er sagte auch, dass ich mich natürlich weigern dürfe. Ich stand keineswegs offiziell unter Verdacht, ich war bloß die letzte Person, die Cathy und Anton lebend gesehen hatte. Aber wenn ich ihnen diese rein routinemäßige Hausdurchsuchung erlaubte, würden sie Zeit gewinnen, und bei derartigen Fällen zählte die Zeit, waren die ersten Stunden ausschlaggebend, das wusste ich sicher auch. Die Entscheidung läge ganz bei mir. Ich machte eine Geste, die ihnen die Erlaubnis gab, auf Wunsch alles zu durchwühlen,aufzureißen, die Wohnung in Schutt und Asche zu legen. Sie dankten mir und nahmen meine Wohnung unter die Lupe.
Ob ich mich bei Subert, einem kleinen blonden und untersetzten Mann, dessen kalter Blick einem Unbehagen bereitete, weniger nachgiebig gezeigt hätte? Ich glaube schon. Ich glaube, ich hätte Maxime angerufen, damit er mir ein Heer befreundeter Rechtsanwälte zur Hilfe schickte, und hätte die Zähne nicht auseinander gekriegt. Ich war fassungslos, überreizt, alles verletzte und ärgerte mich. Antoine Gusta jedoch, ein feiner freimütiger Mensch (aber auch listig und vielleicht sogar durchtrieben, das mochte ich nicht entscheiden), weckte in mir den Wunsch, nach besten Kräften zu helfen. Körperlich gehörte er zu der Sorte Männern, deren Haar trotz des Alters nicht schütter wurde. Er war gebeugt, machte einen müden Eindruck, hatte ein hässliches, runzeliges Gesicht, das sich bei der kleinsten Mimik in zahllose Falten legte, aber er hatte noch immer das dichte schwarze wellige Haar, das er mit zwanzig gehabt hatte.
Wir begaben uns alle drei ins Wohnzimmer, um meine offizielle Zeugenaussage aufzunehmen. Erneut beteuerten sie, ihr einziges Ziel heute Morgen sei es, Zeit zu gewinnen. Was ich zu sagen hatte, ließ sich in wenige Worte fassen, im Übrigen hatte ich es ihnen schon häppchenweise erzählt: der Anruf des armen Anton, die Autofahrt mit Cathy, ja ich war aus dem Auto gestiegen, nein ich hatte Anton und Cathy nicht in den Park begleitet – mein letzter Blick auf die beiden, wie sie sich auf der Allee oder dem, was ich für eine Allee hielt, entfernt hatten, Anton, der sich auf seinen Stock stützte, und Cathy, die ihm den Arm reichte und sich noch einmal umdrehte, um mir zum Abschied zu winken.
Weiter nichts.
Da beschlossen Subert und Gusta, mir ein wenig mehr auf den Pelz zu rücken.
»Und dann sind Sie wieder nach Hause gefahren?« fragte Subert.
»Ja. Nachdem ich ein paar Dinge gekauft hatte.« (Da sie Schweigen wahrten, fuhr ich fort:) »Eine Platte im Virgin-Store auf den Champs-Élysées und ein paar Lebensmittel im Supermarkt Champion auf der Rue de Maubeuge.« (Hartnäckiges Schweigen. Ich begriff warum und wurde ganz krank vor Wut.) »Ich hebe die Bons nie auf. Oder nur ganz
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