Gesetzlos - Roman
überzeugend. Man fand (beinahe) die Leichtigkeit, Schnelligkeit und den hypnotischen Charakter des Stückes wieder, den es am Cembalo hatte.
Neben anderen kostbaren Gegenständen besaß Drarège ein Metronom, dessen Spitze aus einem rosafarbenen Diamanten gefertigt war und das, abgesehen von der Farbe, sehr dem Metronom ähnelte, dass ich Maxime an einem schon länger zurückliegenden Geburtstag hatte schenken wollen.
Ich glaube, dass er auf mich neidisch war (auch dieses Mal weiß ich, wovon ich spreche). In den darauffolgenden Tagen meldete er sich nicht mehr bei mir und so brachen wir die Beziehung ab.
Wenn ich so lange bei dem Abend mit dem schönen Reginald Drarège (mit dem so unaussprechlichen Namen) und bei der auf ewig melancholischen Klage der Frau Carey verweile, dann vor allem deswegen, weil mir an diesem Abend eine andere Idee kam, deren Entstehung gewiss durch die regelmäßige Behandlung mit Renaissance-Musik begünstigt war, der mich Maxime seit so vielen Jahren unterzog: Ich hatte Lust, einige derRenaissance-Werke, die ich besonders mochte, für das Klavier zu bearbeiten und sie unter meinem richtigen Namen zu veröffentlichen – nur zu veröffentlichen, nicht sie selbst aufzunehmen, ich betrachtete mich zu dem Zeitpunkt als nicht ausreichend begabten Pianisten. Zuerst ein paar Lieder,
Lagrimas de un niño
von Juan Gutiérrez de Padilla (der Mädchenname meiner Mutter lautete Padilla: Ob es da eine Verwandtschaft gab? Wahrscheinlich nicht, »Padilla« war ein weit verbreiteter Name, aber Maxime hielt mich mehrmals dazu an, Recherchen anzustellen, »man weiß ja nie, stell dir vor!«),
Autant en emporte le vent
, von Pierre de La Rue,
Douce tourterelle
, von Philippe del Monte, dann, in den folgenden Wochen, ehrfurchtgebietendere Stücke wie das
Agnus Dei
der
Messe des Sept Douleurs
desselben Pierre de la Rue,
Ma fin est mon commencement
von Guillaume de Machaut, ein weiteres
Agnus Dei
aus einer Messe von Robert Carver und das grandiose Anthem von John Browne,
O regina mundi clara
. Maxime, der von meinem Vorhaben begeistert war, ermunterte mich dazu, bei meiner Auswahl wenigstens ein Stück von Clemens non Papa zu berücksichtigen, einem Komponisten, den er besonders mochte und dessen Name ihn amüsierte, weil die Zeitgenossen von Jacobus Clemens ihn liebevoll und scherzhaft so genannt hatten, Clemens non Papa, zur Unterscheidung von Papst Clemens dem Siebten: »›Clemens, aber nicht der Papst‹, das ist ein bisschen so, als würde ich dich ›Luis non Sol‹ nennen, ›strahlend, aber nicht die Sonne‹, haha!« sagte Maxime am Telefon, bevor er aus dem Kopf eine kunstvolle Fantasie trällerte, die oberste Stimme einer Motette von Clemens.
Ich legte meine Sammlung dem guten Luzbourian vor, der sich sofort mit ihrer Veröffentlichung einverstanden erklärte.
»Es wird von nun an eine Reihe mit Alter Musik bei Esmeralda geben«, sagte er. »Und Sie werden den Auftakt machen. Nebenbei gesagt: die Freude, die Sie mir damit machen! Eine neue Reihe! Jene, die mich schon ins Grab stoßen wollen, werden grün und gelb werden vor Neid. Verstehen Sie, der Alte beginnt einezweite Karriere, au wei au wei! Lassen Sie uns das Erscheinen der Sammlung für Juni einplanen!«
Ich bereitete die endgültige Version der Partituren mit äußerster Sorgfalt vor und arbeitete intensiv an den Fingersätzen, die tadellos sein sollten, ebenso präzise wie ausdrucksstark. Gewiss, das Arrangieren der Gesangsstücke fürs Klavier bedeutete, den Text und den unvergleichlichen Reiz der menschlichen Stimme zu opfern. Aber abgesehen von der Tatsache, dass Adaptionen dieser Art schon zum Zeitpunkt ihres Entstehens geläufige Praxis waren, vermochte allein das Klavier die abstrakte, reine, immaterielle Struktur der Werke, die immerhin ein wesentliches Element war, vollends zur Geltung zu bringen, sie gänzlich freizulegen.
Die Sammlung erschien und verkaufte sich gut – gut, das heißt, bei einem kleinen aber geschmackssicheren Publikum. Alex Luzbourians Begeisterung für die neue Reihe verebbte nicht. Das war mir wichtig, wie ich bereits sagte. Das Vertrauen, das er mir in jeder Hinsicht entgegenbrachte, bewegte mich zutiefst.
Meine Einnahmen waren gering, aber ich war weit davon entfernt, bedürftig zu sein. Im Laufe des Jahres ’98 hatte ich den Eindruck, in meinem neuen Beruf halbwegs Fuß gefasst und mir einen professionellen Bekanntenkreis aufgebaut zu haben, der interessanter war als der vorherige.
Wenn ich die
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